Tief unter dem Kleinhennersdorfer Stein verbirgt sich eine der größten Höhlen der Sächsischen Schweiz. Und die hat seit nunmehr 90 Jahren auf besondere Weise mit Weihnachten zu tun.
Der Kleinhennersdorfer Stein wird bisweilen als der Vergessene unter den Tafelbergen des Elbsandsteingebirges bezeichnet. Selbst ortskundige Wanderer geraten ins Grübeln, wenn man sie fragt, wo der gut 390 Meter hohe Berg seinen Gipfel hat. Hinauf führen keine markierten Wanderwege – allenfalls verschwiegene Pfade mit allerlei geheimnisvollen Namen wie Höllenweg, Kesselweg, Sandschlüchte…
Neben seinen beiden stolzen Geschwistern Gohrisch und Papststein wirkt der Kleinhennersdorfer Stein ziemlich unscheinbar – fast so, als würde er sich in ihrem Schatten unterwürfig ducken. Und doch hütet er tief in seinem Inneren einen Schatz, der seinesgleichen sucht. Im Südwesten des Bergmassivs klafft in einer nackten Felsflanke ein gewaltiges Loch – das Tor zur Lichterhöhle. Übermannshoch, 21 Meter tief und 14 Meter breit, ist sie eine der größten Sandsteinhöhlen der Sächsischen Schweiz. Wer sie betritt, wird still und andächtig, vor allem wenn die Höhle wie ein unterirdischer Zwergendom vom Zauberglanz Dutzender Kerzen und Teelichter erfüllt ist.
Wie an jenem Tag vor 90 Jahren, an dem die Lichterhöhle zu ihrem Namen kam. Es ist der 11. Dezember 1924. Aus der Kluft unter dem Kleinhennersdorfer Stein fällt ein schwacher Fetzen Licht auf die verschneiten Fichten und Kiefern, die den Eingang der Höhle bewachen. Das Innere des Berges aber ist hell erleuchtet mit Kerzen und Grubenlampen. Stimmen und Gelächter hallen durch die Nacht. Männer, Frauen – vielleicht 30 an der Zahl – lagern auf Blöcken und Bänken aus grobem Fels. Ihre Schatten tanzen über die schrundigen Wände und Gesimse der Höhle. Dann kehrt für einen Moment Ruhe ein. Es sind die Sekunden, in denen das erste bekannte Foto der Lichterhöhle entsteht. Vielleicht waren es auch Minuten.
Die genauen Umstände des Treffens sind in Vergessenheit geraten. Auf der 90 Jahre alten Aufnahme sind die abgebildeten Personen nur noch schemenhaft zu erkennen, ihre Gesichter bis zur Unkenntlichkeit verblasst. Was sich in jener Winternacht 1924 unter dem Kleinhennersdorfer Stein abgespielt hat, wurde vermutlich niemals aufgeschrieben. Bekannt ist aber: Es waren Bergsteiger aus Heidenau, die in der Höhle inmitten eines Lichtermeers Weihnachten feierten – und dem grandiosen Loch dadurch zu seinem Namen verhalfen. Seitdem hat der Geringste unter den Tafelbergen der Sächsischen Schweiz seinen eigenen Weihnachtsbrauch. Über Jahrzehnte hinweg wurde die Höhle später von Kletterern und Wanderern zum Rasten und Übernachten genutzt – bisweilen auch zum Feiern. So blieb wohl auch die Tradition erhalten, die Kuppel mit Kerzen auszuleuchten.
Die Höhlen, von denen es am Kleinhennersdorfer Stein gleich mehrere gibt, hießen früher anders: Hampelhöhlen. Sie alle verdanken ihre Gestalt nicht der Natur, sondern der Betriebsamkeit eines Königsteiners namens Friedrich Hermann Hempel (1845 bis 1918), im Volksmund bekannt als Sandhampel, der hier seinem mühevollen Gewerbe nachging: dem Sandbergbau. Etwa um 1870 begann er die Höhle künstlich zu erweitern und den weichen Stein, den er brach, durch Zerklopfen und Sieben zu Sand zu verarbeiten. Diesen verkaufte er in den umliegenden Ortschaften später gegen spärlichen Lohn als Scheuermittel, zunächst in kleineren Mengen mit dem Handwagen – später zentnerweise mit dem Pferdewagen.
Mit Sandhampel nahm es kein gutes Ende. In der Lichterhöhle hatte er so tief in den Fels gegraben, dass diese schließlich wegen Einsturzgefahr von den Behörden gesperrt und zugemauert wurde. Reste des Mauerwerks sind bis heute erhalten geblieben. Über 70-jährig fiel der Steinbrecher seinem gefährlichen Gewerbe schließlich zum Opfer – allerdings nicht in der Höhle, wie die Legende besagt, sondern außerhalb. Ein abgestreifter Fels gab nach und begrub ihn unter sich. Seine Höhle aber war bald wieder offen und ist nachweislich seit nunmehr 90 Jahren besonders in der Weihnachtszeit voller Licht und Leben.
Kommentar hinterlassen