Die spinnen, die Niedersachsen!

Peter Brunnert
Der Niedersachse Peter Brunnert schreibt Bücher über Dinge, die beim Bergsteigen so richtig auf die Knochen gehen. Am liebsten lässt er seinen Wortwitz an den echten Sandstein-Sachsen aus, die beim Klettern ganz schön spinnen, wie er findet. Und die Sachsen lieben ihn dafür. (Foto: Archiv Peter Brunnert)

Peter Brunnert wäre so gerne ein richtiger Bergsteiger. Deshalb fährt der norddeutsche Spaßvogel seit 40 Jahren zum Klettern nach Sachsen. Geholfen hat ihm die harte Schule aber wohl eher beim Bücherschreiben.

Für einen Kletterer, der sich nach der Winterpause in der Sächsischen Schweiz erst mal wieder an richtige Wände gewöhnen muss, ist der Pantinenturm eigentlich gar keine schlechte Wahl: kurz, schön griffig, fest und gut gesichert. Ohne große Schwierigkeiten kommt man hinauf und auch wieder hinunter – ein bequem und leicht verdientes Stück elbischen Sandsteins. Für einen wie Peter Brunnert, der noch dazu aus dem Norden kommt, „wo sich die Zuckerrübensteppe bis zum Polarkreis fortsetzt, ohne dass man auf richtige Berge stößt“, fühlt sich der Pantinenturm vielleicht noch aus anderen Gründen goldrichtig an. Jedenfalls hat er sich den etwas versteckten kleinen Gipfel in der Nähe von Hohnstein in diesem Jahr zum Warmklettern ausgesucht.

Brunnert, 57 Jahre alt, Spaßvogel und begnadeter Klettersatiriker, wohnt im niedersächsischen Hildesheim und fährt seit nunmehr 40 Jahren regelmäßig in die Sächsische Schweiz, wo bekanntermaßen ein bisschen abenteuerlicher und schärfer als anderswo geklettert wird. Hier lässt sich der für sein Alter gut und gesund proportionierte Niedersachse im Frühling von engen Felsrissen in die richtige Kletterform biegen oder trainiert sich etliche Meter über dem Boden an fingerdicken Knotenschlingen oder rostigen Eisenringen hängend die Angst ab. Zwar sieht Brunnert so, wie er da mitten im Wald auf einer Fußmatte vor dem Pantinenturm steht, nicht nach der „harten Sachsenschule“ aus, auf die er so große Stücke hält. Er ist aber auch nicht der einzige Bergsteiger, der zum Klettern im Elbsandsteingebirge einen Abstreicher aus dem Rucksack holt. „Es ist einfach von Vorteil, wenn du dir vor dem Einstieg noch mal die Schuhsohlen abputzen kannst“, erklärt er.

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Vom Fliegen from Peter Brunnert on Vimeo.

 Aus kosmischer Perspektive ziemlich bekloppt

Denn für gewöhnlich beginnt in der Sächsischen Schweiz gleich oberhalb vom Abstreicher der Ernst – oder der Stoff, aus dem Brunnerts aberwitzige Klettergeschichten gemacht sind. Routen, in denen einem selbst die saubersten Schuhsohlen irgendwann nichts mehr helfen, weil man mit zunehmender Höhe und bei vergleichsweise spartanischen Sicherungsmöglichkeiten ganz automatisch zittrige Füße bekommt. Dass ein solches Gebirge voller Geschichten steckt, muss der Niedersachse schon 1975 geahnt haben. Damals lud ihn ein Freund überraschend zum Klettern in die ehemalige DDR ein. „Eine Reise mit allem Drum und Dran“, wie sich Brunnert erinnert, „mit peinlichen Grenzkontrollen, konfiszierten Zeitschriften und beschlagnahmten Audiokassetten“. Doch als er dann zum ersten Mal auf der Schrammsteinaussicht stand, blieb ihm der Atem weg. So etwas habe er noch nie gesehen. „Ich dachte, mich trifft der Schlag“, erinnert sich der Hildesheimer. „Diese Romantik! Der Mensch im Diskurs mit der Landschaft.“

Drei Freunde auf dem Pantinenturm
Drei Freunde auf dem Gipfel des Pantinenturms. Von links: Peter Brunnert und seine Beata zusammen mit dem legendären Klettersachsen Bernd Arnold. (Foto: Hartmut Landgraf)

Wer Peter Brunnert kennt, den mögen solche Worte verwundern. Denn bislang galt der Hildesheimer nicht gerade als zart besaiteter Kulturmensch, obwohl er sich selbst als einen Liebhaber barocker Musik bezeichnet. Brunnert scheint sich vielmehr und vorzugsweise von solchen Situationen zum Schreiben animiert zu fühlen, die andere lieber aus ihren Klettererinnerungen verbannen würden. Und er erzählt sie mit bisweilen recht mitleidloser Offenheit – was ihm wohl nur wegen seines Esprits, seiner spritzigen Feder und der auffallend üppigen Portion Selbstironie noch niemand übel genommen hat. In hellen Momenten passiert es Brunnert sogar, dass ihm ein Satz wie der folgende über die Lippen kommt: „Das, was wir da an den Felsen tun, ist, bei Licht und in kosmischen Zusammenhängen betrachtet, eigentlich ziemlich bekloppt.“ Dann geht er wieder klettern.

Auch in seiner Biografie gibt es solche Widersprüche. Bis vor einigen Jahren hat Peter Brunnert noch für eine Versicherung gearbeitet. Einen größeren Kontrast zu seinem risikobehafteten Hobby kann man sich wohl kaum vorstellen. Die Sache mit den Büchern lief eher nebenher – bis der Hildesheimer merkte, dass er davon ganz gut leben konnte und seinen Job 2012 an den Nagel hängte. Seitdem lebt er vom Schreiben und seinem Humor.

Peter Brunnert legt eine Schlinge
Wer im Elbsandsteingebirge sicher auf einen Gipfel kommen will, muss allerlei rätselhafte Knoten beherrschen. Denn hier sichert man sich beim Klettern vornehmlich mithilfe von Seilschlingen. Peter Brunnert ist in der sächsischen Schlingenkunst in vielen Jahren erbitterten Übens ein richtiger Experte geworden. (Foto: Hartmut Landgraf)

Einige Geschichten muss Brunnert aber wohl zunächst mal eine ganze Weile im Kopf herumwälzen, bis sie ihren Witz preisgeben – solange, bis die Erinnerungen und Episoden zu einem herrlich bunten Brei sedimentiert und verschmolzen sind, dem nichts Bedauerliches oder gar Tragisches mehr innewohnt. Solche Reifeprozesse können auch mal 20 Jahre dauern, hat er irgendwann verraten. Manches am Klettern wirkt eben erst aus sehr weiter Ferne betrachtet wirklich lustig.

Die nächste ultimative Elbsandstein-Fibel

Von solchem Kaliber sind die Geschichten, die Brunnert 2010 unter dem bezeichnenden Titel „Die spinnen, die Sachsen“ beim Geoquest-Verlag Halle veröffentlicht hat. In dem Buch erzählt er Abenteuer aus der sächsischen Kletterszene, deren authentische und teils blutige Hintergründe man sich auch heute mit dem Abstand von fünf Jahren noch nicht allzu lebhaft und farbig vorstellen mag. Inzwischen ist unter dem Titel „Klettern ist sächsy“ eine neue Brunnert´sche Elbsandstein-Fibel erschienen. In der Kletterszene sind seine Bücher so beliebt wie seine Lesungen. Denn der Flachländer trifft genau den Ton, der beim Bergvolk ankommt. Selbst Geschichten, bei deren Lektüre sich jedem vernünftigen Kletterer die Haare sträuben müssten, erscheinen einem – wenn Brunnert sie vorträgt – enorm witzig.

„In vielen Geschichten verarbeite ich ja im Grunde nur meine eigenen gescheiterten Versuche, ein richtiger Bergsteiger zu werden“, versichert der Hildesheimer. Natürlich ist auch das wieder die typisch Brunnert´sche Lust am Fabulieren. Denn der Niedersachse muss sich beim Klettern schon lange nichts mehr beweisen – weder im Elbsandsteingebirge, noch im heimischen Ith oder in anderen Felsgebieten. Schon gar nicht am Pantinenturm. Den Nordostweg (Schwierigkeit V) sichert er sächsisch stilecht mit einem halben Dutzend Seilschlingen ab, bevor er ruhig und gelassen und ohne, dass dabei irgendwelche urkomischen Dinge passieren, zum Gipfel steigt. Die Fußmatte liegt noch am Einstieg. Wer so verrückte Sachen übers Klettern gehört und geschrieben hat wie Peter Brunnert, dem macht am Berg vermutlich vor allem eines Spaß: Wieder heil unten anzukommen.

Die nächsten Lesungen von Peter Brunnert in Sachsen:

  • 24. April, 19 UhrPirna, Uniwerk, Alte Feuerwache
  • 13. Juni, 19 UhrKirnitzschtal, Filmnacht in der Buschmühle
  • 4. Juli, 20 UhrHohnstein, Bergsommerabend im Puppenspielhaus
  • 29. Oktober, 19 UhrFreiberg, Kornhaus
  • 13. NovemberDresden, Bergsichten-Festival im TU-Hörsaalzentrum

Mehr Infos gibt’s im Internet unter www.peter-brunnert.de

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