Das Wanderfalkenpaar am Kletterfelsen Totenkopf hat seine Jungen verloren, trotz Sperrzone und Bewachung. Auch im Großen Zschand, in den Weißen Brüchen und im Schrammsteingebiet schlug die Brut in diesem Jahr fehl.
Zu Himmelfahrt ist mit den Wanderfalken am Totenkopf noch alles in Ordnung. Seit März ist der Kletterfelsen im Glasergrund zum Schutz der brütenden Vögel gesperrt. Und er wird sogar bewacht – von freiwilligen Naturschutzhelfern des Sächsischen Bergsteigerbunds, denn Wanderfalken gehören in Sachsen zu den vom Aussterben bedrohten Arten, obwohl sich ihr Bestand im Elbsandsteingebirge stabilisiert hat. Zu Himmelfahrt halten Lilli und Rebekka im Glasergrund Wache, zwei angehende Studentinnen aus Pirna. Kein einfacher Termin für die beiden 19-Jährigen: An der Ottomühle wird schon am Vormittag kräftig gezecht, Horden von bierseligen Männern ziehen durchs Gelände, Müll bleibt liegen, der Lärmpegel steigt. Falls jemand den Hang hinauf kommt, müssen die Falken-Bewacherinnen ihn irgendwie aufhalten und zurückschicken. Die Sperrzonen in der Brutzeit werden von den meisten Wanderern und Bergsteigern akzeptiert, doch zum Männertag könnte es Diskussionen geben. Zum Glück kommt niemand. Es bleibt den ganzen Tag ruhig. Nur die Schützlinge oben im Horst machen sich bemerkbar. „Wir haben sie gehört“, sagt Lilli.
Dringend tatverdächtig – ein gewiefter Kletterer
Es ist das letzte Mal, dass jemand von der Wanderfalkenfamilie am Totenkopf einen Laut vernimmt. Anderthalb Wochen später, zu Pfingsten, ist der Horst leer – ausgeraubt. Mitarbeiter der Waldwacht Cunnersdorf beobachten einen Verdächtigen in der Nähe des Horstes – einen Marder! Die Falkenfamilie ist spurlos verschwunden. Vermutlich hat der kletterbegabte Räuber den Jungvögeln bereits am Tag zuvor den Garaus gemacht und will nun sichergehen, ob noch mehr fette Beute auf ihn wartet. Die beiden Altvögel sind fort. Ob sie sich im nächsten Jahr einen anderen Nistplatz suchen, bleibt abzuwarten. In diesem Jahr werden sie gewiss nicht wiederkommen. Enttäuschendes Ende einer Brutsaison.
Wenige Tage später zieht Ulrich Augst eine traurige Bilanz: Der Verlust im Glasergrund ist bei Weitem nicht der einzige. Der Vogelexperte vom Nationalpark Sächsische Schweiz weiß von insgesamt acht Nistplätzen, wo die Brut in dieser Saison gescheitert ist: Die beiden Horste in den Weißen Brüchen wurden vermutlich ein Raub des Uhus. Am Hinteren Hickelturm ging die Reproduktion ebenfalls schief, genauso in der Richterschlüchte, am Kleinen Lorenzstein, am Saurier und am Adolf-Herrmann-Fels. Bei durchschnittlich zwei bis drei Jungen pro Horst, haben in der Sächsischen Schweiz schätzungsweise 20 kleine Falken das Frühjahr nicht überlebt. „Am Ende werden vielleicht 25 Jungvögel durchkommen“, schätzt Augst. Für ihn ist das völlig normal. Die Natur betreibt jedes Jahr so eine harte Auslese. Neben Marder und Uhu haben es auch Habicht und Kolkrabe auf den Nachwuchs des Wanderfalken abgesehen.
Einsatz gegen Ruhestörer
Auch Uwe Kretzschmar zieht Bilanz. Er organisiert die Falkenbewachung. Der Dresdner von der Umweltgruppe des Sächsischen Bergsteigerbunds will zumindest einige der Gefahren, denen die seltenen Raubvögel im Elbsandsteingebirge ausgesetzt sind, eindämmen helfen. Als Kletterer gehe es für ihn darum, der „Natur etwas zurückzugeben“, sagt er. Und manches können Bergsteiger besser als staatlich eingesetzte Naturschützer – zum Beispiel ihresgleichen ins Gewissen reden. Voriges Jahr geht in den Silberwänden am Gabrielensteigturm auf böhmischer Seite eine Wanderfalken-Brut verloren, vermutlich wegen Lärm. Auch bei den Wanderfalken am Bergfreundschaftsstein auf sächsischer Seite gibt es Verluste. In beiden Fällen zeigen Gipfelbucheinträge, dass sich manche Kletterer eben doch nicht an die Ruhezeiten halten. Nach Informationen des Sandsteinbloggers passiert dieses Jahr das gleiche Spiel an der Verlassenen Wand im Bielatal – ein frischer Gipfelbucheintrag vom 13. Mai. Auf Lärm oder Sichtkontakt von oben reagieren Wanderfalken besonders allergisch, denn in ihrer Welt ist von oben meistens nichts Gutes zu erwarten, sondern mit großer Wahrscheinlichkeit ein Feind. Die Folge: Die Eltern verlassen verschreckt das Nest und die Eier oder die bereits geschlüpften Nestlinge bleiben schutzlos zurück. Für sie kann es das Aus bedeuten.
Auch Tiefflieger oder Drohnen sind ein Problem. Uwe Kretzschmar erinnert sich an einen Fall am Pfaffenstein. Dort fliegt vor zwei Jahren in der Brutzeit eine Drohne in der Nähe eines Nistplatzes am Nordturm herum. Unmittelbar danach gibt es vom Horst kein Lebenszeichen mehr. Der Zusammenhang ist spekulativ aber schlüssig. Laut Kretzschmar hat der Naturschutz zwei Möglichkeiten, auf solche Verluste zu reagieren: „Entweder wird das Gebiet in der Brutzeit total ruhiggestellt – oder man überträgt jenen, die das Gebirge nutzen, ein Stück der Verantwortung für seinen Schutz.“ Für Kretzschmar steht außer Frage, welcher Weg besser ist. Seit 1999 gibt es die Falkenwacht – sie hat sich zu einem festen Bestandteil in den Beziehungen zwischen den Bergsportverbänden und Naturschutzbehörden entwickelt.
Ein bisschen enttäuscht sind sie alle über das vorzeitige Ende der Aktion im Glasergrund: Lilli und ihre Freundin Rebekka. Uwe Kretzschmar. Vielleicht auch Ulrich Augst. Aber die Natur ergreift keine Partei, für sie sind der Hunger des Marders und das Überleben der Falkenbabys einander gleichgestellt. „Unterm Strich hatte die Bewachung trotzdem einen Sinn“, sagt Uwe Kretzschmar. „Denn wir konnten mit ein paar Leuten reden. Und damit erreichen wir was für die Zukunft.“
Aktuelle Sperrungen
Eine Übersicht findet ihr auf der Homepage des Nationalparks –> hier.
- Aufgehoben sind die Horstschutzzonen im Glasergrund, am Adolf-Hermann-Fels und an den Hickeltürmen.
- An der Fluchtwand und am Siegfried sind die Jungfalken bereits ausgeflogen, dort dürften die Sperrschilder also auch in Kürze verschwunden sein.
- Noch bis zum 15. August aufrechterhalten werden die Sperrungen an Promon, Forstgrabenwand, Bilch, Einsamer Ritter und Totenkirchel.
Aha. Wenn der Marder das Nest räubert, dann ist das eben ein Stück Natur. Wenn der Mensch aber stört, dann handelt er verantwortungslos. Als ob der Mensch nicht Teil der Natur wäre. Kommt wieder runter. Und der Wanderfalke ist in der Sächsischen Schweiz zwar selten – etwa so selten wie Palmen in meinem Vorgarten – aber er steht international auf keiner roten Liste. Also bitte entspannt sehen. Und kein großes Buhei mit „Falkenbewachung“ machen. Und schon gar nicht mit staatlich subventionierten „Vogelexperten“ in der nationalparkverwaltung.
Hallo Arndt, korrekt – bundesweit ist der Bestand des Wanderfalken derzeit nicht gefährdet (vgl. Rote Liste Bundesamt für Naturschutz). Anders jedoch in Sachsen, dort galten Wanderfalken bis vor einigen Jahren noch als vom Aussterben bedroht (vgl. Rote Liste Landesamt für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie). Da die RL des Freistaats schon etwas älter ist (1999), habe ich nachgefragt: Laut Landesumweltamt wird die Liste derzeit überarbeitet. Der Bestand des Wanderfalken habe sich zwar mittlerweile stabilisiert, er gilt aber immer noch als „gefährdet“ (Kategorie 3), hieß es. Aktuell sind 40 Wanderfalken-Reviere in Sachsen bekannt, etwa doppelt so viele wie um das Jahr 2000 herum. Zur positiven Entwicklung habe auch das breite Bemühen um den Schutz der Vogelart beigetragen, sagt Karin Bernhardt, Sprecherin des Umweltamts.
Es ist ätzend das es immer „Einen“ geben muss der es besser weiß. Wir haben 1100 Klettergipfel und müssen mal auf ein paar verzichten und können uns dann auch noch über den Erfolg seltener Vögel freuen. Das sollte doch auch möglich sein – ohne Kommentar. Was wollen wir eigentlich weitergeben? Toleranz und eine intakte Natur oder ewige Meckerei wegen lächerlich kleiner Beschränkungen.