Vor 25 Jahren beschloss der DDR-Ministerrat in seiner letzten Sitzung die Gründung von fünf Nationalparks im Osten – darunter einer in der Sächsischen Schweiz. Indem wir uns selbst Grenzen setzen, soll die Natur ihre Freiheit zurückerlangen. So der Plan. Geht er auf?
Es war eine große und langfristig angelegte Idee, aber ihre Umsetzung glich einem Überfall: Als der ehemalige DDR-Ministerrat in seiner buchstäblich letzten Sitzung am 12. September 1990 die Gründung von fünf ostdeutschen Nationalparks beschloss, war in der Sächsischen Schweiz kaum jemand darauf vorbereitet. Auch die Natur nicht. Eine Kulturlandschaft – fast bis in ihre letzten Winkel besiedelt und erschlossen, bewachsen mit riesigen Fichtenwirtschaftswäldern in lupenreiner Monokultur.
Wildnis? Davon war die Sächsische Schweiz Jahrhunderte weit entfernt. Und doch: Wenn man tief eindringt in diese Landschaft – in ihre moosgrünen Schluchten und zerklüfteten Felsengärten, wohnt ihr noch ein leiser Hauch ihres Ursprungs inne. Man bekommt eine Ahnung davon, was Natur sein kann, wenn der Mensch sie nicht züchtet und zähmt. Diese Inseln waren die Keimzellen des Nationalparks Sächsische Schweiz und befinden sich heute zum Großteil in seinen Kernzonen. Der Rest des 93,5 Quadratkilometer großen Naturschutzgebiets war alles andere als eine Wildnis. Das erklärt viele Akzeptanz- und Anpassungsschwierigkeiten, die der Nationalpark bis heute hat.
Der Natur ein Stück Freiheit wiedergeben, indem wir uns selbst Grenzen setzen – das ist ein edler Gedanke und entsprach der politischen Stimmungslage in der Wendezeit, angesichts von heruntergewirtschafteten Industrielandschaften, toten Wäldern und verdreckten Flüssen. Doch was bedeutet das? Wie können wir Verzicht üben? Wieviel Verzicht ist notwendig, um der Natur genügend Raum zum Wachsen und Atmen zu geben? Und ist ein Nationalpark nicht auch ein Rückzugsort für das Stück Natur in uns selbst – für uns?
Es kann darauf keine einfachen oder dauerhaft gültigen Antworten geben. Sie müssen immer wieder neu gefunden werden. Der Nationalpark, mit 25 Jahren kaum älter als ein Bäumchen, hat schon einige Richtungswechsel erlebt. Sein erster Leiter, Jürgen Stein, war ein streitbarer und umstrittener Naturschützer, der in seiner 20-jährigen Dienstzeit mit teils harter Hand wesentliche Fundamente für das Wildnis-Projekt legte, aber auch eine Reihe von wichtigen Partnern dafür zu gewinnen wusste – der jedoch mit seinem Führungsstil und manch radikaler Entscheidung auch Partner verlor und am Ende vielen Leuten zu unbequem wurde. Steins Vorgesetzte fürchteten wohl um die Akzeptanz des Nationalparks in der Bevölkerung, nach dem verheerenden Kirnitzschhochwasser 2010 tauschte der Freistaat den Behördenchef schließlich aus. Das Amt übernahm Dietrich Butter, vormals Leiter des benachbarten Forstbezirks Neustadt. Seitdem herrscht in Bad Schandau ein anderer und gemäßigter Ton, die Nationalparkverwaltung gibt sich kompromissbereit, setzt stärker auf Dialog und Konsens mit den Kommunen und Verbänden und hat damit Sympathien zurückgewonnen. Vor allem in Tourismuskreisen ist die Aufgeschlossenheit für die Ziele des Nationalparks gewachsen – wohl auch bedingt durch wirtschaftliche Entwicklungen, wie etwa den Trend zum wohlbetuchten Öko-Tourismus. Druck bekommt der Nationalpark heute eher im Hinblick auf seine Naturschutzziele, etwa Kritik wegen seiner intensiven Waldpflegemaßnahmen und Borkenkäferbekämpfung. Mancher Naturschützer findet die Besucher-Regularien zu liberal. Die Dachorganisation Europarc Deutschland hat dem Schutzgebiet in der Sächsischen Schweiz ein durchwachsenes Zeugnis ausgestellt.
Allen Meinungskämpfen um den richtigen Weg könnte noch ein viel tieferes Problem zugrunde liegen. „Natur Natur sein lassen“ lautet das oberste Ziel eines jeden Nationalparks. Das klingt wie eine Phrase – und stellt doch einen ungeheuren Paradigmenwechsel in unserer Jahrtausende alten Kulturgeschichte dar. Vor der Haustür statt eines Gartens eine Wildnis entstehen zu lassen, widerspricht unserem Verständnis von Zivilisation und unserem lang vertrauten Selbstbild. Das ist vielleicht die größte Herausforderung, vor der das Projekt Nationalpark steht. Der Ausgang ist offen.
In den Affensteinen ist ein Hektar Wald verbrannt. Kehren nun die alten Zeiten zurück? Schlägt die Nationalparkverwaltung wieder einen härteren Kurs ein? Ein Gespräch mit Nationalparkchef Dietrich Butter über eine 25-jährige Gratwanderung, über hoch gesteckte Ziele, Kompromisse und Widersprüche – und die Suche nach dem richtigen Weg. Um zum Interview zu gelangen, einfach auf das Bild klicken!
Der RBB hat eine sehr sehenswerte Web-Dokumentation zur Nationalpark-Geschichte im Osten und ihren geistigen Vätern veröffentlicht. Zu Wort kommt unter anderem Michael Succow, 1990 kurzzeitig Vize-Umweltminister der DDR und einer der wichtigsten Köpfe bei der Ausarbeitung des Ministerratsbeschlusses zum Nationalparkprogramm. Klick einfach auf das Bild!
Respekt für diesen gut geführten Artikel und die Befragung.Die Wildnis macht doch aber den Charm aus oder sehe ich dort etwas anders?