Sandige Griffe. Wände, die eher was für Botaniker als für Kletterer sind. Schlingen, die nichts versprechen und auch nichts halten. Mit ihrer fünften Film-Premiere beim Bergsichten-Festival setzen Felix Bähr und Alex Hanicke den dunkelsten Seiten der sächsischen Kletterkunst ein Denkmal.
Der Südostweg des Wehlgrundwächters fristet, völlig zu Unrecht, im Kletterführer ein sehr bescheidenes Dasein. Nur dreieinhalb nüchterne Textzeilen beschreiben eine Route, die wohl zu den einprägsamsten in der Sächsischen Schweiz gehört – im negativen Sinne. Richtig schöne Wege werden im Elbsandstein üblicherweise mit einem Sternchen gekennzeichnet, herausragend schöne bekommen auch mal zwei. Der Südostweg des Wehlgrundwächters (Schwierigkeit V) hingegen verdient eher drei Kreuze. Wer sich ein wenig auf einschlägigen Kletter-Seiten im Internet umtut, lässt von diesem Unhold in Felsgestalt lieber die Finger. Der obere Teil der Route befinde sich „im vorletzten Stadium der Verwesung“ ist beispielsweise in der Wegedatenbank bei Teufelsturm.de zu lesen. „Ein unglaublicher Sandhaufen“, lautet ein anderer Kommentar. Kurzum, der Südostweg ist eine von rund 90 Routen, die es auf die berüchtigte „Kotzbrockenliste“ der fürchterlichsten Kletterwege im Elbsandsteingebirge geschafft haben.
Sächsiche Delikatessen – Trailer from Knackwurst on Vimeo.
Eine Delikatesse für die beiden Filmemacher Felix Bähr und Alex Hanicke. Die Dresdner mischen seit einigen Jahren mit ihren Beiträgen regelmäßig im beliebten Sandstein-Filmblock des Bergsichten-Festivals mit – und sorgen dort und anderswo zunehmend für Aufsehen. Was sie auszeichnet: ein Gespür für gute Geschichten und ein Händchen für Situationskomik und den richtigen Schnitt. Das Handwerk des Filmemachers haben sich Felix und Alex selbst beigebracht, anfangs mit ganz einfachen Schnittprogrammen für Amateure – mittlerweile hantieren sie aber mit eher professionellem Werkzeug. Vor sechs Jahren begannen die beiden, ihre ersten selbstproduzierten Filmschnipsel über die sozialen Netzwerke zu posten, Sequenzen vom Brückenspringen und von gemeinsamen Snowboard-Urlauben in den Alpen. Der Bezug zum Thema ist eng und lebendig. Denn das Duo Hanicke-Bähr ist in Kletterkreisen nicht bloß für irre Kamera-Perspektiven, sondern auch für manch halsbrecherisches Abenteuer bekannt. Vor wenigen Wochen erst ist Felix mit einem Kletterfreund in den Dolomiten an dem Versuch gescheitert, alle drei Zinnen hintereinander zu besteigen – es wurden nur zwei. Zum Filmemachen kamen die beiden Dresdner, weil ihnen – wie Felix es ausdrückt – beim Fotografieren die Möglichkeit fehlte, „das Adrenalin in den Augen“ darzustellen.
Davon bekommen die Zuschauer im neuen Film „Sächsische Delikatessen“ zur Genüge geboten: Mit ihrer fünften Film-Premiere beim Bergsichten-Festival setzen Felix Bähr und Alex Hanicke den dunkelsten Seiten der sächsischen Kletterkunst ein Denkmal: Sandige Griffe. Wandpassagen, die eher was für Botaniker als für Kletterer sind. Schlingen, die nichts versprechen und auch nichts halten – der Südostweg des Wehlgrundwächters in seiner ganzen abweisenden Pracht. Die Seilschaft, die sie bei dieser selbstverleugnenden Herausforderung begleiten, ist schon als solche sehenswert: Jörg Brutscher, als Kletterer auch bekannt als einer der sächsischsten unter den Nicht-Sachsen – ein Mann mit fast schon legendärer Vorliebe für Schinderrisse und DDR-Sporttextilien – und Klettersatiriker Peter Brunnert, der mit seinen Schmonzetten über die Spinnereien der Sachsen ganze Bücher füllt.
Wie die Sache ausgeht, wird man zur Filmpremiere erleben: Denn dafür müssen die Jungs noch einige Nachtschichten einlegen und reichlich drei Stunden und 100 Gigabyte Drehmaterial auf ein kompaktes 25-Minuten-Format zusammenschneiden. Bei den Dreharbeiten hatte auch Bergsichten-Chef Frank Meutzner als Kameramann seine Hände im Spiel. Im Wust der Dateien und O-Ton-Fetzen muss manches Kleinod erst noch aufgespürt und mit dem richtigen Schliff zum Leuchten gebracht werden. „Dafür stellt man sich immer wieder doof und fragt sich selbst, warum die Szene so und nicht anders laufen kann“, sagt Alex Hanicke. Genügend kreativer Strom kommt vermutlich, wie so oft in Künstler- und Kletterkreisen, aus dem Sortiment gut bestückter Getränkefachhändler. Wir sind gespannt.
12. Bergsichten-Festival
„Sächsische Delikatessen“ von Alex Hanicke und Felix Bähr läuft beim Bergsichten-Festival in Dresden im Filmblock Sandsteinabenteuer, Sonnabend, 14. November, 17.30 Uhr im Luis-Trenker-Saal des TU-Hörsaalzentrums. Zusatzveranstaltung: Donnerstag, 12. November, 19.30 Uhr, Falkensteinsaal.
Weitere Highlights:
- Hans Kammerlander live: „Die Matterhörner der Welt“, Multivisionsshow zum Festivalsauftakt, eine Reise zu den Schönsten der Schönen – 13. November, 19.30 Uhr | Zusatzvortrag: 12. November, 20.00 Uhr
- Thomas Senf: „Berge im Fokus“, ein fotografischer und filmischer Blick hinter die Kulissen des Profibergsteigens – 14. November, 20.30 Uhr
- Simone Moro: „Exploration“ und „I-View“, Live-Vortrag mit Film, der den italienischen Ausnahmealpinisten im Himalaya und als begeisterten Hubschrauberpiloten zeigt. Moro wurde durch seine extremen Winterbesteigungen von 8000ern bekannt – 15. November, 20.30 Uhr
- Peter Brunnert: „Fisch sucht Fels“, irre Klettergeschichten zwischen Ostsee und Aconcagua, die garantiert die Lachmuskeln strapazieren – 14. November, 12.30 Uhr | 15. November, 15.00 Uhr
- Matthias Mayr und Matthias Haunholder: „Überlebt – The Lost Island“, Live-Vortrag mit Film über ein extremes Skiabenteuer am pazifischen Feuerring – 15. November, 15.00 Uhr
Das komplette Programm des 12. Bergsichten-Festivals: www.bergsichten.de/programm
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