Kann man das überhaupt noch Winter nennen? Schnee und Frost lassen uns nun schon das dritte Jahr in Folge im Stich. Bekommt Sachsen die Folgen der Klimaerwärmung zu spüren – oder ist alles bloß Zufall? Geht das so weiter? Und was passiert, wenn die Natur so früh aus dem Schlaf geweckt wird?
Das Georgenfelder Hochmoor hat einen lichten Moment. Oft sieht Norbert Märcz hier oben nichts weiter als Nebel, heute aber ist es erstaunlich klar und trocken. Der Wind schiebt ein paar graue Wolkenbänke über die Kuppe des Hügels – aber sie ziehen von dannen wie versprengte Truppen und lassen den atemberaubenden Rundblick offen. In der Ferne kann man sogar die blassblaue Kuppe des Jeschken erkennen, 120 Kilometer weiter östlich.
Norbert Märcz spaziert mit offener Jacke zwischen seinen Messgeräten herum. Es ist Anfang Februar. Eigentlich müsste er zu dieser Jahreszeit dick eingemummelt durch tiefen Schnee stapfen und Eis und Minusgrade protokollieren. Märcz arbeitet als Wetterbeobachter in der Wetterwarte Zinnwald – 877 Meter über dem Meeresspiegel. Kälte ist hier eigentlich der Normalzustand. Der Ort hat eine mittlere Jahrestemperatur von gerade mal 4,3 Grad Celsius, weniger als Islands Hauptstadt Reykjavik, es ist der kälteste bewohnte Punkt Deutschlands. Aber von Kälterekorden kann in diesem Winter keine Rede sein. Draußen vor der Station sind frühlingshafte 7 Grad, der Schnee auf dem Erzgebirgskamm ist auf ein paar mickrige Inseln zusammengeschmolzen, auf dem Hof der Wetterwarte liegt gar keiner mehr. „Schon der Dezember war sechs Grad zu warm“, sagt Märcz. Der Winter gab sein Spiel bereits verloren, bevor es überhaupt begonnen hatte. Mitte Januar schien es mal kurzzeitig so, als wolle er den schwachen Auftritt des Vormonats wettmachen – von Nordosten zog sibirische Kaltluft ins Erzgebirge. Doch schon nach wenigen Tagen stahl sich die Kaltfront wieder kleinlaut von dannen und ließ nichts als Pfützen zurück. Und der Februar sieht bislang kein bisschen besser aus. „Dass die milde Witterung so lange anhält, ist ungewöhnlich“, findet Norbert Märcz. Es ist das dritte Jahr in Folge, dass sich der Winter so launenhaft aufführt, als wäre er mit dem April verheiratet. Wo sich normalerweise die Skifahrer um die Loipen streiten, herrscht tagelang nichts als gähnende Leere. Das Wetter hat der Wintersportregion erneut einen dicken Strich durch die Rechnung gemacht. Geht das jetzt immer so weiter?
Vier Grad wärmer – was wäre wenn?
Wenn man sich die neueste Klimaprojektion für Sachsen anschaut, scheint einiges dafür zu sprechen. Aus den mittleren Jahrestemperaturen der vergangenen Jahrzehnte lässt sich ein Trend ableiten. Die letzten 25 Jahre waren fast ausnahmslos zu warm – 2015 war das zweitwärmste Jahr seit Beginn der Wetteraufzeichnungen Ende des 19. Jahrhunderts, 2014 das wärmste. „Zwei aufeinanderfolgende Superlative“, sagt Johannes Franke vom Klimareferat des sächsischen Landesamts für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie. Vielleicht ist das nur Zufall. Vielleicht aber auch ein Ausdruck für den voranschreitenden Klimawandel in Sachsen. Die Computermodelle besagen, dass in den nächsten Jahren noch etliche Superlative folgen könnten: Bis zum Ende des Jahrhunderts rechnet Sachsen mit einem Anstieg der mittleren Jahrestemperaturen um 2,5 bis 4 Grad Celsius. Das bedeutet zwar nicht, dass sich der Winter in Zukunft gänzlich aus unseren Breiten verabschiedet oder der Sommer künftig nur noch mit unerträglichen Hitzewellen daherkommt. Aber die Daten liefern erstmals handfeste Argumente, dass die globalen Veränderungen auch in unserer unmittelbaren Umgebung etwas zu verschieben beginnen. Was bisher als ungewöhnlich galt, könnte künftig zur Regel werden: im Sommer lange Trockenperioden, gefolgt von extremen Unwettern mit sintflutartigen Regenfällen. Im Winter Schneemangel und häufige Temperaturschwankungen – bis hin zum T-Shirt-Wetter. Der Winter 2015/16 passt ins Bild.
Für die sächsischen Mittelgebirge und die gesamte Region steht dabei einiges mehr auf dem Spiel, als eine verpatzte Wintersportsaison. Die Folgen des Klimawandels für die heimische Natur lassen sich noch gar nicht richtig abschätzen – doch sie könnten das Bild unserer Landschaft nachhaltig verändern. Johannes Franke hat auf seinem Rechner ein Foto gespeichert, das Bände spricht: Darauf ist ein Feld mit grüner Wintergerste zu sehen, ein Stück Acker unweit von Roda in Nordsachsen. In der Mitte hat das Feld eine Glatze bekommen – eine kahle Hügelkuppe, auf der bloß noch ein paar schüttere Getreidehalme stehen. Das Foto entstand im Juni 2015. Es gibt Klimaforscher, die für solche von Natur aus kargen Regionen im Freistaat für die Zukunft eine regelrechte Steppenbildung prognostizieren. Franke nimmt dieses Wort lieber nicht in den Mund, er spricht lediglich von Trockenheit. Schon seit Längerem aber klagen Sachsens Landwirte und Förster über zu trockene Böden. So warnte etwa Nationalparkchef Dietrich Butter im vorigen Herbst vor Waldbränden in der Sächsischen Schweiz. Alle Wasserspeicher im Boden seien leer – und Butter meinte damit nicht nur die Folgen des zu heißen Sommers 2015. „Grundwasser hat ein langes Gedächtnis“, erklärt Johannes Franke. Normalerweise füllen der Winter und die Schneeschmelze im Frühjahr die Speicher wieder auf. Ist das Wetter aber in der kalten Jahreszeit über Wochen und Monate zu warm und zu trocken, sinkt der Grundwasserspiegel dauerhaft in den Keller – und selbst ein paar heftige Sommergewitter mit Starkniederschlägen ändern dann nichts mehr daran. „Das war in zwei aufeinanderfolgenden Jahren der Fall“, sagt der Klimaexperte. Im trockenen Nordsachsen oder in den Rifflagen des Elbsandsteingebirges wird der Mangel doppelt spürbar.
Das milde Wetter zieht aber noch andere Probleme nach sich: Ab fünf Grad Plus erwacht die Vegetation aus dem Winterschlaf und beginnt zu wachsen. Kommt dann doch noch harter Frost, gehen die jungen Triebe allesamt wieder ein. Bei mangelnder Feuchtigkeit wird zudem aus Wachstum schnell Kümmerwuchs. Trockenheit setzt den Wäldern zu – flach wurzelnde Baumarten wie die Fichte haben es besonders schwer, an das lebenswichtige Wasser zu kommen. Für Schädlinge wie den Borkenkäfer brechen fette Zeiten an, mit den geschwächten Bäumen hat er umso leichteres Spiel. Auf längere Sicht drohen Artenverluste. So könnte es zum Beispiel in den höheren Lagen des Elbsandsteingebirges in Zukunft für feuchtigkeitsliebende Baumarten wie Fichte und Buche richtig eng werden. Schon heute sieht die Buche in der vorderen Sächsischen Schweiz stellenweise nicht mehr besonders gut aus, sagt Artenspezialist Holm Riebe von der Nationalparkverwaltung. Eiche und Kiefer kämen mit den befürchteten Veränderungen vielleicht noch am ehesten klar.
Die Natur reagiert auf den Klimawandel
Die meisten davon sind heute noch Spekulation – aber einige sind vielleicht auch schon sichtbar. Die Nationalparkverwaltung beobachtet zum Beispiel seit einigen Jahren, wie sich die wärmeliebende Laubbaummistel in den höheren Lagen der rechtselbischen Sächsischen Schweiz ausbreitet, wo sie früher nicht vorkam – etwa im Raum Rathewalde. Auch an anderen Stellen im Elbsandsteingebirge und in Dresden ist diese regelrechte Invasion unübersehbar. Was macht die Mistel neuerdings so unerhört erfolgreich? Haben sich ihre Lebensbedingungen in jüngster Zeit so ungemein verbessert? Am forstbotanischen Institut der TU Dresden gab es Untersuchungen zu diesem Phänomen. Als eine mögliche Erklärung wurden die wärmeren Winter in Betracht gezogen. Überlebenswichtig für die Mistel etwa ist ein kleiner Singvogel: die Misteldrossel. Dieser pickt die weißen Beeren der Pflanze und scheidet ihren Samen mit dem Kot anderswo wieder aus. Üblicherweise überwintert die Misteldrossel im Mittelmeerraum. Aber in milden Wintern bleibt sie einfach daheim und trägt hier kräftig zur Vermehrung der Mistel bei. Deren Wirtsbäume – Pappel, Ahorn, Robinie und Linde – hatten außerdem in den vorangegangenen Jahren durch wiederholte Trockenheit im Winter und Frühjahr Stress, was sie anfälliger für Parasiten macht.
Sind das die ersten Zeichen – oder kommt am Ende doch alles ganz anders? Und was wird aus diesem Winter? Überrascht er uns vielleicht noch auf den letzten Metern? Meteorologen können nicht allzu weit in die Zukunft blicken, als einigermaßen seriös gelten 3-Tages-Vorhersagen – vielleicht auch noch der 7-Tage-Trend, dann hört es schon auf. Will man jemanden wie Norbert Märcz zum Spekulieren verleiten, muss man ihn nicht nach seinen Daten fragen, sondern nach seinem Instinkt. Am Donnerstag fielen in Zinnwald immerhin mal wieder ein paar Zentimeter Neuschnee. Ein paar eiserne Wintersportverrückte seien darauf herumgerutscht, sagt der Wetterbeobachter. „Vielleicht“, glaubt er, „bekommen wir doch noch mal ein, zwei Wochen Winter.“ Und fügt hinzu: „Vielleicht schon im Lauf der nächsten Woche – aber noch nicht an diesem Wochenende.“
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Um mal das Thema trockenner Winter zu nennen.Wir waren am letzten Wochenende am Katzfels unterwegs.Es hat nur genieselt.Von Trockenheit kann man in diesem Winter nicht sprechen.Ich sehe es für die Flüsse in Sachsen er kritisch das mehr Regen fällt als notwendig ist.Notwendig heisst auch Nieselregen macht in 12 Stunden einen kleinen Bach zum reissenden Strom.Die Elbe in Bad Schandau war am 22.02 jedenfalls schon gut gefüllt.Die „Sebnitz“ hat 75 Prozent über normal Wasserstand.Das bleibt sicherlich abzuwarten was dort passiert.Ich habe auf der Rückfahrt von Bad Schandau nach Neustadt(über Hohenstein) auch einen Wasserfall gesehen(Rechts des Brandgebiet).Trockenheit wird wohl kein Thema sein in diesem Winter.
Der Borkenäfer ist eine Natürliche Lebensform des Waldes und wird durch den Menschen als Schädling bekämpft.Weil er die Forstwirtschaft bzw. der Staat kein Geld verdient.Das ist bei einem ausgeglichenen Ökosystem überhaupt kein Thema.Nicht die Tiere sind schuld der Mensch ist schuld.