Drei Nasen am Limit

Drei Männer auf dem El Capitan
Nach drei Tagen in der Wand endlich ganz oben: Konrad Schlenkrich, Thomas Johne und Livio Urban (v.links). (Foto: Konrad Schlenkrich)

Um eine 1000-Meter-Wand hinaufzukommen, muss man vor allem drei Dinge tun: Klettern, klettern – und klettern! Thomas Johne hat es am El Capitan erlebt und einen Film darüber gedreht, der zu den Sommerbergsichten in Porschdorf erstmals öffentlich gezeigt wird.

Eine sagenhaft steile Felswand. 1000 Meter schwierigste Kletterei. Tage und Nächte zwischen Himmel und Erde. Drei Sachsen haben es gemacht: Thomas Johne, Konrad Schlenkrich und Livio Urban. Im Juni 2007 kämpfen sie sich durch die legendäre „Nose“ im Yosemite-Valley (Kalifornien/USA), eine Granitroute, an der viele bedeutende Kapitel Klettergeschichte geschrieben wurden. Jetzt erscheint ihr Film: „3 Nasen am Limit“. Ein Gespräch über atemberaubende Tiefblicke, Gummibären und Bierdosentoiletten. Über grenzenloses Gott- und Seilvertrauen – und über die Wand aller Wände.

 

Portrait Thomas Johne
Thomas Johne. (Foto: priv.)

Thomas, der El Capitan im Yosemite-Valley ist für viele so etwas wie der Mount Everest der Kletterer – das größte, was es gibt. Was ist er für dich?

Ja, schon so etwas wie das Ziel aller Ziele…

Und Patagonien? Der Fitz Roy oder der Cerro Torre?

Da ist mir das Risiko zu groß, auch mit Blick auf meine Familie. Patagonien ist nicht meine Welt. Ich hätte gar keine Lust, mich da in der Kälte rumzutummeln. Dagegen stehen am El Cap Risiko und Erfolgschance in einem vertretbaren Verhältnis.

Und irgendwann war dir klar, dass du dir den Berg holen musst…

Damals hatten wir gerade ein Projekt am Müllerstein (Schrammsteine A.d. Red.) beendet – Konrad Schlenkrich und ich. Konni war noch nie im Yosemite-Valley, und wie wir so da oben auf dem Gipfel sitzen, meint er plötzlich zu mir: Lass uns doch mal die Nose machen. Und ich dachte: Ja, eigentlich eine gute Idee. Ich kannte den Weg schon, hab ihn 1994 schon mal gemacht…

Ein Jahr, nachdem Lynn Hill dort mit der ersten freien Begehung Geschichte schrieb…

Damit hat sie uns bei BIWAK die Show gestohlen. Horst Mempel wollte eigentlich etwas über unsere Tour in der Sendung bringen, entschied sich dann aber doch für Lynn Hill.

El Capitan
Magischer Sehnsuchtsort für Generationen von Kletterern: die legendäre „Nose“ am El Capitan. Eine 1000-Meter-Wand, an der viele bedeutende Kapitel Klettergeschichte geschrieben wurden. (Foto: Thomas Johne)
Kletterkarabiner und Schlingen
Materialcheck, bevor es losgeht. Dieses ganze Gerassel muss mit. (Foto: Thomas Johne)

Mal abgesehen von der Höhe, was ist in einer 1000-Meter-Wand anders als beim Klettern in Elbsandstein-Dimensionen – sagen wir am Falkenstein?

Es artet in Arbeit aus. Das ist bei allen Routen so, die über fünf Seillängen hinausgehen. Die Nose hat 31 Seillängen. Du kommst irgendwann in der Mitte so einer Wand an und dir wird klar, dass du nochmal das Gleiche vor dir hast: eine schwere Seillänge nach der anderen. Da kann man schon innerlich ermatten…

Drei volle Tage in der Wand, wieviel Gepäck musst du da hochzerren?

Nur das Nötigste. Je schwerer der Haulbag wird, umso langsamer kommst du voran. Aber es darf natürlich auch nichts Wichtiges fehlen, sonst hast du ein Problem. Schlafsack, Regensachen, Müsliriegel, ein bisschen Wurst, ein bisschen Trockenbrot – zwei Liter Wasser und eine Bierdose für jeden Tag. Und Gummibären, ganz wichtig! Das Ganze wog dann so ungefähr 30 bis 40 Kilo.

Nacht auf dem Absatz
Bequem geht anders, aber die Aussicht ist nicht zu toppen: Konrad und Livio im Nachtlager im Camp Five. (Foto: Thomas Johne)

Und ein Portaledge. Ihr musstet ja in der Wand biwakieren…

Nein, wir hatten kein Portaledge. An der Nose gibt es immer mal Bänder zwischendurch, auf denen du schlafen kannst – vor dem Great Roof zum Beispiel oder im sogenannten Camp 5. Manchmal sind die Absätze breit wie ein Bett, sodass man bequem zu zweit darauf liegen kann. Und manchmal reicht der Platz nur für einen und zum Hocken.

Wo wir gerade vom Hocken sprechen: Wie funktioniert das eigentlich mit den dringenden Bedürfnissen beim Bigwall-Klettern? Es kommen ja auch Seilschaften von unten nach…

(Lacht) Früher in den 90ern gab es dafür Tüten. Die wurden dann einfach nach unten geworfen, aber das ist inzwischen verboten. Heute nimmst du alles, was fester ist, im Rucksack nach oben mit. Wir haben dafür Bierdosen aufgeschnitten – und hinterher wieder zugetaped.

Wart ihr das einzige Team in der Wand?

Nein, gleich unten am Einstieg war eine Zweierseilschaft vor uns. Die kletterten sehr langsam und haben uns extrem ausgebremst. Wir haben sie dann überholt, konnten unseren Zeitplan aber trotzdem nicht mehr halten und mussten unterhalb vom Dolt Tower notübernachten.

Kletterer am Great Roof
Für Kletterer das bekannteste Dach der Welt: Konrad Schlenkrich am Stand nach dem Great Roof. (Foto: Thomas Johne)
Kletterer an der Nose
Livio (oben) und Thomas in der 17. Seillänge nach dem King Swing. (Foto: Konrad Schlenkrich)

Wenn ein paar Hundert Meter unter einem Leute klettern, muss man extrem aufpassen, dass man in der Wand nichts lostritt…

Am El Capitan ist dieses Risiko eher gering. Der Granit ist sehr fest – nicht so loses Gestein wie in den Dolomiten.

Ihr seid Teile der Route technisch geklettert, am Great Roof zum Beispiel habt ihr euch an euren Friends festgehalten…

Das ging dort für uns auch nicht anders. Da ist alles unglaublich glatt und würde von der Schwierigkeit her nach sächsischen Maßstäben vielleicht mit XIc bewertet. Das bringen wir auch hier in Sachsen nicht.

Lynn Hill hat es frei gemacht.

Ja, aber sie ist eine Frau und hat sehr schmale Finger. In den Riss, wo sie sich festhalten konnte, krieg ich meine Finger gar nicht rein. Ich hab´s mir angeguckt, aber es geht einfach nicht. Fünf Seillängen weiter unten gibt es noch so eine Stelle: die sogenannten Texas Flakes. Das Wandstück ist so glatt, dass du nur über Hakenleitern hochkommst – du hangelst von Bohrhaken zu Bohrhaken.

Kletterer jümart eine Seillänge an der Nose.
Konrad jümart die vorletzte Seillänge an der Nose. (Foto: Thomas Johne)

 

Kletterer mit tausend Meter Luft unter sich.
Tausend Meter Luft: Thomas in der letzten Seillänge. (Foto: Konrad Schlenkrich)
Zerschrammte Finger
Was nach drei Klettertagen von den Fingern übrig ist… (Foto: Thomas Johne)

Die Nachsteiger jümarn die Route hoch (Aufsteigen am Seil mit zwei Steigklemmen. A.d.Red.). Dazu gehört eine ganze Menge Gott- und Seilvertrauen.

Das ist schon ein seltsames Gefühl. Am Great Roof pendelt der letzte Mann 15 bis 20 Meter raus und hängt dann da frei in der Luft an einem Zehn-Millimeter-Strick. Da kannst du bloß drauf vertrauen, dass alles hält und dass Unfälle in solchen Situationen eher selten vorkommen. Die Wahrscheinlichkeit, dass beide Steigklemmen brechen, ist sehr gering. Nervös wurden wir am Great Roof aus einem anderen Grund. Da fing es nämlich mal kurz an zu tröpfeln – und wenn du kein Portaledge dabei hast und bis auf die Knochen durchweichst, dann wird´s problematisch. Die Nächte sind selbst im Juni nicht so warm wie man glaubt und da oben in der Wand herrscht ein ziemlich starker Wind, sodass man sich die Seile ums Bein wickeln muss, damit sie nicht waagerecht zur Seite wegtreiben.

Und was war für dich das Highlight der Route?

Diese Unendlichkeit. Das Geilste ist der Ausstieg. Dort kommt noch mal ein kleiner Überhang, und wenn du den kletterst, hast du fast einen Kilometer Luft unter dir bis zum Erdboden – und keinen Absatz dazwischen. Das ist absolut irre.

Gespräch: Hartmut Landgraf

5. Sommer-Bergsichten 2016

Der Film „3 Nasen am Limit“ von Thomas Johne wird demnächst bei den Sommer-Bergsichten in Porschdorf gezeigt.

Am 2. und 3. September auf dem Aktivhof Porschdorf: Das Outdoor-Special des Bergsichten-Festivals in der Sächsischen Schweiz mit Livevorträgen, Filmaufführungen, Lesungen, Aktiv- und Abenteuerprogramm, Lagerfeuer, Zelten u.v.m.

Programm und alle Infos >>> www.bergsichten.de

1 Kommentar zu Drei Nasen am Limit

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