Der Sächsische Bergsteigerbund will ein Online-Warnsystem für die Sächsische Schweiz entwickeln. Es soll helfen, die Zahl der Bergunfälle zu senken. Dass bei Nässe im Sandstein nicht geklettert werden darf, wissen viele. Die Frage ist nur: Was ist Nässe?
Raue Schale, weicher Kern. Das ist eine zutreffende Beschreibung der Sächsischen Schweiz und exakt der gemeinsame Nenner, auf den sich ihre 1134 Klettergipfel bringen lassen. Denn was den vielgestaltigen Sandsteinfelsen südlich von Dresden ihren Anschein von Stabilität und Festigkeit verleiht, ist im Grunde kaum stärker als eine Kuchenglasur: Eine hauchdünne Schicht aus Quarzsandkörnern, verhärtet und miteinander verkittet wiederum durch gelösten Quarz – Kieselrinde, wie Geologen dazu sagen. Eine millimeterdicke Kruste nur. Darunter ist das Gebirge buchstäblich auf Sand gebaut.
Trotzdem wird in der Sächsischen Schweiz seit mehr als 150 Jahren geklettert, und normalerweise sind die Türme und Wände an der Elbe dafür auch fest und robust genug – Ausnahmen bestätigen die Regel. Sachsens Kletterer können ihre Felsen in aller Regel gut einschätzen und wissen, wovor sie sich besonders in Acht nehmen müssen: vor Regen! Denn Nässe setzt die Festigkeit des Steins nachweislich herab. Regenwasser sickert in den porösen Sandstein ein, löst seine inneren Verbindungen auf, bildet Salze, die die harte Kieselkruste schwächen und aufsprengen und Löcher in die Wände fressen, wie bei einem Schweizer Käse. Das Gefüge der Mineralien wird immer lockerer. Immer wieder ereignen sich im Elbsandsteingebirge schwere Bergunfälle aufgrund von Griffausbrüchen. Und obwohl Sandstein auch im trockenen Zustand wegbrechen kann und die Ursachen selten so klar auf der Hand liegen – in Bergwachtkreisen gilt Klettern bei Nässe als ein Spiel mit dem Feuer. „In jedem Frühjahr häufen sich die Unfälle“, sagt Bergretter Thomas Kegel von der Sebnitzer Bergwacht. „Oder auch nach langen Regenperioden“.
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Dem Grundsatz nach ist Klettern bei Nässe in der Sächsischen Schweiz schlicht verboten. Darauf wird sowohl in den sächsischen Kletterregeln hingewiesen, als auch in der gebietsbezogenen Naturschutzverordnung. Doch so eindeutig wie sie klingen, sind die Regularien nicht, denn niemand hat den Begriff Nässe näher definiert. Unter Bergsteigern gibt es unterschiedliche Auffassungen darüber, ab wann man besser die Hände vom Sandstein lassen sollte: nach den ersten Regentropfen oder erst, wenn der Fels – salopp gesagt – pitschnass ist. Insider kennen zudem sogenannte Schlechtwetterrouten, die auch bei Regen relativ trocken bleiben. Das Pauschalverbot hat viele Schlupf- und Deutungslöcher.
„Das Klettern an nassem und feuchtem Fels ist bei allen Kletterrouten zu unterlassen, in denen gesteinsbedingt die Gefahr der Beschädigung der Felsoberfläche und des Ausbrechens von Griffen und Tritten besteht.“
Quelle: Sächsische Kletterregeln
„Insbesondere ist es vorbehaltlich des Ergebnisses einer nach § 7 erforderlichen Prüfung verboten… an nassem oder feuchtem Gestein zu klettern.“
Der Sächsische Bergsteigerbund (SBB) will deshalb mit einem Online-Warnsystem für mehr Klarheit und Sicherheit sorgen. „Unser Ziel ist ein Vorhersageinstrument, das so ähnlich wie die Lawinenlageberichte im Hochgebirge funktioniert“, sagt SBB-Geschäftsführer Christian Walter. Die Idee: ein System, das Wetterdaten mit Felsfeuchtemessungen kombiniert und aus den gesammelten Werten Handlungsempfehlungen errechnet, die dann als Ampel auf einer Karte im Internet dargestellt werden – auf der Homepage des SBB und als App. Entsprechende Messpunkte sollen in allen Klettergebieten der Sächsischen Schweiz installiert werden, um ein möglichst präzises Bild der örtlichen Gegebenheiten zu vermitteln. Sprich: Steht die Ampel im Rathener Klettergebiet auf Rot, kann sie im Bielatal bei entsprechenden Bedingungen noch Gelb oder Grün anzeigen. Damit wolle man besonders auch gebietsfremden Kletterern eine Orientierungshilfe an die Hand geben, sagt Walter.
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Entwickelt wird das System im Rahmen einer Masterarbeit an der Berliner Humboldt-Universität. Läuft alles nach Plan, könnte die Felsampel in ein bis zwei Jahren online sein, schätzt Projektleiter Peter Dutschk. Technisches Equipment bekommen er und sein Team von Geographen der Universität Graz, die schon Erfahrungen mit ähnlichen Feuchtemessungen im österreichischen Dachsteinmassiv gesammelt haben. Zu jedem Messpunkt gehören neben den Feuchtigkeitssensoren am Fels auch Wind-, Regen- und Temperaturmessgeräte. Zehn solcher Messpunkte sind für die Sächsische Schweiz vorgesehen – ein Prototyp wird im kommenden Jahr auf der Südseite des Papststeins angebracht. Das System muss zwei Probleme lösen – Punkt eins: den Wassergehalt im Gestein so präzise wie möglich bestimmen, dafür wird derzeit auf dem Gelände des SBB-Vereinszentrums in Dresden das beste Verfahren getestet. Punkt zwei: daraus verlässliche Schlussfolgerungen für die Festigkeit und Kletterbarkeit des Sandsteins ableiten. Hierzu wird es u.a. Laborversuche geben. Doch weil die Beschaffenheit und Qualität des Sandsteins in der Sächsischen Schweiz von Gebiet zu Gebiet variiert, sollen auch Erfahrungen ortskundiger Kletterer einbezogen werden. Denn trotz wissenschaftlicher Expertise: Das beste Frühwarnsystem beim Klettern ist und bleibt die Ampel im Kopf. „Das System soll Aussagen machen, die zumindest in Bezug auf Nässe besser sind als subjektive Einschätzungen. Den Verstand ausschalten darf man aber natürlich trotzdem nicht“, sagt SBB-Geschäftsführer Christian Walter.
Die Elbsandstein-Ampel bei den GreenTec Awards
Mit dem Felsampel-Projekt hat sich der Bergsteigerbund beim Wettbewerb um Europas größten Umwelttechnologiepreis für einen GreenTec Award in der Kategorie Sport beworben. In der noch bis Januar laufenden Online-Abstimmung steht die Idee aus Sachsen derzeit auf Platz 4. Du findest sie klasse und möchtest sie unterstützen? Hier geht´s zum >>> Online-Voting!
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