Dietrich Graf war so etwas wie die Stimme der Vernunft in der Sächsischen Schweiz. Kaum jemand hat das sensible Gebirge so tief geliebt und verstanden wie er. Mit 80 Jahren ist der besonnene Forstmann und Naturschützer gestorben.
Ein einsames Haus in der Sächsischen Schweiz – auf dem Weg dorthin muss der Zeitgeist irgendwo falsch abgebogen sein. Dort, wo das Dorf Rathewalde zu Ende ist und augenscheinlich nichts mehr kommt außer Felder, kommt doch noch etwas: Dietrich Grafs Grundstück. Ein schlichter Zaun. Wiesen drum herum. Und gleich dahinter: der Wald.
Fünf Jahrzehnte lang hat der Forstmann und Naturschützer hier abgeschieden von der Welt gelebt. Seine beiden Töchter sind hier groß geworden, sein Enkel ist durch den Garten gehüpft – zusammen mit den Spatzen und Lerchen. Man muss diesen Ort gesehen haben, um zu verstehen, wie nahe Dietrich Graf all den Dingen war, für die er sich zeitlebens und wirksam eingesetzt hat: das Elbsandsteingebirge und seine einzigartige Natur. Im Alter von 80 Jahren ist der frühere Forstamtsleiter nun gestorben. Die Region und besonders der Naturschutz verlieren einen ihrer besten und besonnensten Köpfe und Fürsprecher.
Wer Dietrich Graf in seinem Haus am Rand der Welt besuchte, fand ihn oft still und allein vor einem museumsreifen braunen Radioempfänger sitzend, an einem Tisch mit Wachstuchdecke, und versonnen in alten Zeitschriften und Tagebuchaufzeichnungen blätternd. Ein bescheidenes Dasein, dessen Früchte nicht in der Wohnung zu finden waren. Der auffälligste Einrichtungsgegenstand war eine hölzerne Tafel mit einem Spruch von Gottfried Keller: „Schöner Wald in treuer Hand labt das Auge, schirmt das Land“. Darunter Fotos von Naturlandschaften, die Graf besucht hat – vom Elbsandsteingebirge bis zum Kaukasus. Um zu sehen, was dieser Mann geleistet und an Werten für die Region geschaffen hat, muss man in die Wälder um Hohnstein und Lohmen gehen – die Wälder seiner Kindheit, wie er sie liebevoll nannte. Im Brandgebiet zum Beispiel hat Dietrich Graf tiefe – oder besser: weithin sichtbare Spuren hinterlassen. Schon als junger Mann in den 1960er-Jahren hatte er in seinem Beritt unweit von Hohnstein damit angefangen, Forstwirtschaft nach den Prinzipien eines naturgemäßen Waldbaus zu betreiben – gut durchmischte Laub- und Nadelgehölze, statt lupenreiner Fichtenkulturen anzubauen, Kahlschläge möglichst zu vermeiden und beim Pflanzen und Pflegen die Gratiskräfte der Natur auszunutzen.
Ein Pionier des Waldumbaus
Heute gehören diese ökologischen Prinzipien zum Grundlagenwissen der Forstwirtschaft. Der Freistaat Sachsen ist bemüht, ihnen mit einem millionenteuren Waldumbauprogramm zu entsprechen. Damals aber waren sie fast noch revolutionär. Zwar hatte schon zu DDR-Zeiten ein Umdenken in dieser Richtung begonnen – Graf erlebte den Wandel als Student in den 50er-Jahren an der Tharandter Forsthochschule und er prägte ihn zutiefst.
Doch in der Praxis sahen die Dinge anders aus. Noch bis in die 80er-Jahre fraß die industrielle „Rohholzbereitstellung“ riesige Lücken in die Wälder der Sächsischen Schweiz. Und nur wenige wagten, dagegen den Mund aufzumachen. Dietrich Graf war einer von ihnen. Er hatte eine andere Einstellung zum Wald, sah seinen Platz darin nicht herausgehoben, sondern eingebunden in einen Zusammenhang aller Lebewesen. Seinen Teil der Verantwortung für den Erhalt der gemeinsamen Lebensgrundlagen anzunehmen, war ihm Bedürfnis und berufliche Herausforderung zugleich. Seine Idealvorstellung von Forstwirtschaft beschrieb er in einem Interview vor einigen Jahren als eine Einheit von Ökologie, Ökonomie und Ästhetik. Von Haus aus zur humanistischen Weltsicht erzogen, machte sich Graf deren Werte auch im Beruf zu eigen – und ließ sich als Forstamtsleiter sogar von der Jagd befreien. Ein Lebewesen zu töten, war ihm zuwider.
Früh engagierte sich der gebürtige Lohmener für den Schutz seiner Heimat und ihrer idyllischen Wald-Fels-Landschaft, war über 30 Jahre lang Naturschutzbeauftragter für den damaligen Kreis Sebnitz, und hatte als solcher in den frühen 80er-Jahren maßgeblichen Einfluss auf die Gründung einer Landschaftsschutzgebiets-Inspektion für die Sächsische Schweiz, die 1990 dann zur Keimzelle des neuen Nationalparks wurde. Als Oberförster band er zu DDR-Zeiten Bergsteigerklubs in die Verantwortung für das Gebiet mit ein, Graf hatte Verständnis und ein Herz für den Klettersport. Gemeinsam mit dem Dresdner Bergsteiger Winfried Popelka brachte er die über 30 Jahre lang erfolgreiche „Aktion Sauberes Gebirge“ auf den Weg. Er traute es sich sogar, auf einem Landschaftstag in Sebnitz hochrangigen SED-Parteifunktionären ins Gesicht zu sagen, dass es mit dem forstlichen Raubbau und der Vermüllung der Landschaft so nicht weitergehen konnte. Das sei wohl die mutigste Rede seines Lebens gewesen, sagte er später. Er selbst war kein Parteimitglied.
Den Wurzeln treu geblieben
Vom Willen, Verantwortung für ein Stück Land zu übernehmen, fühlte sich der Rathewalder seit seiner Kindheit angetrieben. Er nannte es „das bäuerliche Prinzip“ in seinem Leben. Die Großmutter hatte einen Bauernhof. Kraft gegeben aber hat ihm in besonderem Maße die feste Verwurzelung in seiner Heimat, der er zeitlebens treu geblieben ist. Mehrere Karrierechancen, die sich ihm fernab der Sächsischen Schweiz boten, lehnte Graf ab – und war dankbar, dass er bleiben durfte. „Ich wollte hier tätig sein, wo wir als Kinder Pilze suchen waren und später klettern gingen“, hat er mal gesagt. Dass es so kam, empfand er als ein großes persönliches Glück. Und das war es wohl auch für die Sächsische Schweiz.
Gut geschrieben, danke für den informativen Beitrag!