Im Vorfeld seines Vortrags auf der Festung Königstein spricht Deutschlands bekanntester Survival-Experte (82) über seine wilden Abenteuerjahre, die Last des Wohlstands und die letzten Urvölker, seinen Kampf für Menschenrechte – und seine Angst um das Überleben unserer Zivilisation.
Früher hätte Rüdiger Nehberg die 500 Kilometer von seiner Heimat Schleswig-Holstein in die Sächsische Schweiz zu Fuß geschafft – mit nichts als einem Overall im Gepäck. Genau so wanderte er einst quer durch Deutschland, von Hamburg bis nach Oberstdorf im Allgäu. Im Vorfeld seines Vortrags auf der Festung Königstein übt Deutschlands bekanntester Überlebenskünstler im Interview mit dem Sandsteinblogger Kritik am „satten Überfluss unserer Welt“, erklärt, warum er auf einem Baumstamm über den Atlantik gesegelt ist und an die „positiven Seiten“ des Islam glaubt – und weshalb er unsere Zivilisation und unsere Werte in Gefahr sieht.
Herr Nehberg, möchten Sie gerne in der Steinzeit leben?
Das hab ich ja schon oft gemacht – als ich mich zum Beispiel ohne Ausrüstung im Urwald absetzen ließ oder 1000 Kilometer quer durch Deutschland gelaufen bin, mit nichts als einem Overall. Unterwegs hatte ich mir damals eine Steinaxt und einen Grabstock gebaut, damit kann man im Wald Mulden scharren, um darin auf einem Polster aus Laub und Humus etwas geschützter zu übernachten. In der ersten Nacht meines Marsches von Hamburg nach Oberstdorf hatte ich nämlich einfach nur auf der Wiese gepennt, und die Sonne war noch gar nicht richtig untergegangen, da war ich schon pitschnass vom Tau und hab mir den Arsch abgefroren.
Können Sie sich vorstellen, Ihrer Heimat Lebewohl zu sagen und für immer in die Wildnis zu verschwinden?
Der Typ bin ich nicht, dafür bin ich irgendwie zu verwurzelt hier. Aber ich hab mir beigebracht, dass ich im Notfall dazu in der Lage wäre. Wenn ich vor der Wahl stünde, irgendwo wie ein Steinzeitmensch zu leben, dann würde ich das im brasilianischen Regenwald machen. Damit bin ich gut vertraut und damit käme ich auch klar.
Zu Kulturen, die so leben, haben Sie immer wieder Kontakt gesucht – zu den Yanomami-Indianern im Amazonasgebiet beispielsweise. Was fasziniert Sie so sehr an den letzten Urvölkern?
Dass es auch heute noch Menschen gibt, die notfalls ohne alles klar kämen – ohne den ganzen satten Überfluss unserer Welt. Die nichts von dem brauchen, was wir für unentbehrlich halten, ob das ein Angelhaken ist, ein Handy oder eine Tablette. Die wirklich nur von den Dingen leben, die ihnen ihre Umgebung bietet.
Haben Sie bei diesen Völkern Dinge gelernt, die Ihnen im normalen Alltag etwas nützen?
Ja, zum Beispiel meine Ansprüche zu reduzieren auf ein Minimum. Ich habe festgestellt, wie harmonisch man mit der Natur leben kann, was sie einem alles bietet – von einfachen Werkzeugen, wie einem Grabstock, bis hin zu Palmenblättern, die zum Dachdecken taugen und Jahrzehnte halten. Und was mich am meisten bei den Yanomami beeindruckt hat, war die Erkenntnis, dass ihnen diese Sehnsucht nach immer mehr Reichtum fehlt. Und der Fortschrittsglaube, auf den wir alle so getrimmt sind. Die Feststellung, dass ich mich notfalls ohne alles behaupten kann – so wie es unsere Vorfahren gemacht haben oder jedes frei lebende Tier – das finde ich faszinierend.
Steckt dahinter nun Abenteuerlust oder eher eine pessimistische Haltung zum Leben, die von allen Seiten Bedrohungen und Katastrophen kommen sieht?
Nein, ein Pessimist bin ich überhaupt nicht. Zunächst mal war es wohl meine Neugier, die mich in die Welt hinausgetrieben hat. Abenteuerlust und Risikobereitschaft gehören zu meiner Natur. In meinem Beruf als Konditor fand ich keine Erfüllung. Ich habe das 25 Jahre lang betrieben, es lief gut und war meine Existenzgrundlage. Aber Erfüllung fand ich beim Reisen. Vor allem auf eigene Faust und abseits der Straßen. Auf dem Blauen Nil zum Beispiel, wo vorher zehn andere Expeditionen gescheitert waren. Dabei habe ich gemerkt, wie weit man Grenzen verlagern und wie man dem Leben eine unheimliche Spannung geben kann.
Sie hätten auch Bergsteiger werden können oder Fallschirmspringer.
Ja, das gehörte ja dazu. Fallschirm bin ich gesprungen, aber es ging mir nicht um Rekorde, sondern darum, alles, was mir möglich ist, geistig und körperlich zu intensivieren. Ob ich ein Training bei den Kampfschwimmern gemacht habe oder bei der Polizei oder bei den Marinefliegern. So habe ich zum Beispiel meine Ängste vorm Wasser abgebaut und in völlig neue Bahnen gelenkt. Ich bin kein Wassermensch. Aber ich wollte ja über den Atlantik mit einem Tretboot, später nochmal mit einem massiven Baumstamm und einem Bambusfloß bis vors Weiße Haus…
Da ging´s um die Rechte bedrohter Völker…
Um die Yanomami. Durch meine Reisen in diese Gebiete wurde ich Augenzeuge ihres Dramas. Dieses letzte, noch ursprünglich lebende große Indianervolk in Brasilien wurde durch eine Armee von Goldsuchern bedrängt. Das war wirklich eine Armee, 65.000 Goldsucher, die auf 120 Landepisten in dem Gebiet operierten und alle bewaffnet waren. Die Indianer hatten gar keine Chance. Das war der Moment, wo ich mir dachte, kneif ich jetzt den Schwanz ein oder engagiere ich mich? Ich hätte nie gedacht, dass man als kleiner Bürger überhaupt etwas erreichen kann. Aber durch die Kraft der Medien kann man Dramen ins Gespräch bringen – ich habe das genutzt. Über medienwirksame Spektakel, wie die Atlantik- Überquerungen. Auf meinem Segel stand ein Appell an die brasilianische Regierung. Ich war beim Papst und bei der Weltbank, hab mich als Goldsucher Undercover verdingt, wir haben viel gemacht – sogar Filme gedreht – um eine Öffentlichkeit zu erzeugen. Und das hat gewirkt. Nach 20 Jahren haben die Yanomami im Jahr 2000 schließlich ihren Frieden bekommen. So lange hat ́s leider gedauert.
So bekamen Ihre Brasilien-Abenteuer nachträglich einen Sinn?
Ja. Und danach kam als neue Herausforderung das Drama der weiblichen Genitalverstümmelung. In einigen afrikanischen Ländern werden die jungen Mädchen noch immer nach überkommenen Bräuchen auf grausame Weise beschnitten – 80 Prozent der täglich 8000 Opfer leben in der islamischen Welt. Aber ich habe auf meinen Reisen den Islam auch anders kennengelernt. In Äthiopien gerieten wir 1977 bei einer Wüsten-Durchquerung mitten hinein in die Kriegswirren und sollten erschossen werden. Unsere islamischen Bodyguards, die man uns zur Sicherheit mitgegeben hatte, stellten sich mit ihren Körpern als lebende Schilde vor uns und sagten den Angreifern: Wenn ihr unsere Gäste töten wollt, müsst ihr schon durch uns hindurchschießen und dann wird euch die Blutrache unseres Stammes treffen. Deshalb glaube ich, dass wir das Thema der Genitalverstümmelung mit der Kraft und der Ethik des Islams beenden können. Und der Islam kann mal seine positiven Seiten zeigen, statt sich ständig von Terroristen vorführen zu lassen.
Die derzeitige Situation ist für Ihr Anliegen vermutlich nicht hilfreich…
Wir haben mit unserem Verein schon viel erreicht. Die höchsten Glaubensführer des Islam haben sich von uns zu einer Gelehrtenkonferenz in der Azhar in Kairo einladen lassen, das kann man mit dem Vatikan vergleichen. Und der Großmufti von Ägypten, hat die Schirmherrschaft dafür übernommen – das ist die oberste Instanz in theologischen Rechtsfragen. Diese Männer haben dann den Mut aufgebracht, ihre lebenslang vertretene Meinung zu revidieren und den Brauch als strafbares Verbrechen zu ächten. Wir dachten, jetzt ist der Job getan, aber das hat sich nicht rumgesprochen. Die Scham in dieser Welt, über den Unterleib der Frau zu sprechen, ist stärker geblieben als die Vernunft. Deshalb ist es mein größtes Ziel, an dem ich schon lange arbeite, auch Saudi-Arabien noch auf unsere Seite zu bekommen. Wenn von Mekka aus verbreitet würde, dass es Sünde ist, Frauen und Mädchen zu verstümmeln, das wäre morgen rund um die Welt.
Was macht Ihnen am meisten Angst?
Die Überbevölkerung, die Migration, der Terror. Dass heute jeder problemlos an eine Maschinenpistole und Sprengstoff kommt. Dass sich die Welt rasant zum Nachteil verändert und durch den Exodus aus Afrika am Ende auch unsere eigene Zivilisation zusammenbricht. Was wir uns hier geschaffen haben – Demokratie, Wohlstand, die Bildungsmöglichkeiten, Pressefreiheit, das sind alles hart erkämpfte Werte, um die uns die ganze Welt beneidet und die man auch mit allen Mitteln verteidigen muss. Ich finde, unsere Nachkommen haben viele Probleme zu meistern. Ich bin gespannt, was sie aus der Situation machen werden.
Sie sind jetzt 82. Wenn Sie auf Ihre wilden Abenteuerjahre zurückblicken, könnte der alte Rüdiger Nehberg dem jungen etwas über das Leben beibringen?
Niemand sollte sich für zu gering halten, etwas zu verändern, das ihn stört. Wenn man sich nicht verzettelt, sondern an seinen Zielen dranbleibt, kann man auch als kleiner Ex-Vorstadtbäcker, als Nobody, durchaus etwas bewegen.
Gespräch: Hartmut Landgraf
Live-Vortrag: Rüdiger Nehberg – „Querschnitt durch ein aufregendes Leben“
Von seinen wilden Jahren und Abenteuerreisen in die entlegensten Gebiete der Erde berichtet der heute 82-jährige Überlebenskünstler am 4. August live auf der Festung Königstein. Nehberg eröffnet mit seinem Vortrag das achte Outdoor-Festival FESTUNG AKTIV! und führt die Zuschauer in 90 Minuten ins Abseits der Welt und zu den wichtigsten Stationen seines Lebens.
FESTUNG AKTIV! 2017 – vom 4. bis 6. August auf der Festung Königstein.
Programm-Highlights:
- Festivals-Auftakt mit Rüdiger Nehberg: Live-Vortrag, 4. August, 21.30 Uhr auf dem Paradeplatz der Festung Königstein, Einlass ab 19.30 Uhr. Tickets gibt´s über den Online-Shop www.festung-aktiv.de. Preisklasse A: 23,00 EUR im VVK / 25,00 EUR Abendkasse | Preisklasse B: 20,00 EUR im VVK / 22,00 EUR Abendkasse.
- Foto-Ausstellung: Bernd Arnold – Spuren im Sandstein, 5. August bis 3. Oktober im Neuen Zeughaus, Vernissage: 4. August, 20.00 Uhr (nur mit Ticket für den Vortrag Rüdiger Nehbergs), Einlass ab 19.30 Uhr.
- Foto-Workshops: Fotografie-Profis geben am 5. und 6. August auf der Festung Königstein Tipps und Tricks an wissbegierige Foto-Enthusiasten weiter: Portraitfotografie, Sport- und Event-Fotografie, Landschafsfotografie zu Sonnenuntergang und blauer Stunde, Bildbearbeitung, Details und Anmeldung über www.outdoor-fototage.de.
- Am Sonnabend und Sonntag, 5./6. August: XXL-Highline zur Königsnase, Slacklinearena an der Garnisonskirche, Slackline-Show mit Weltmeister Lukas Huber, Klettern im Abratzky-Kamin, Abseilen vom Festungsplateau, 300 Meter Flying Fox und vieles mehr. Alle Infos: www.festung-aktiv.de.
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