Thomas Senf hat das Risiko zu seinem Beruf gemacht: Er begleitet die Superstars des Klettersports durch die gefährlichsten Wände der Welt – mit der Kamera. Ein Job, in dem extreme Beweglichkeit genauso wichtig ist wie das Festhalten von Besitzständen. Gelernt hat der Fotograf sein Handwerk da, wo so verrückt wie nirgendwo sonst geklettert wird: In seiner alten Heimat. Im Elbsandstein.
Er war der Mann im Hintergrund, als Ines Papert und Mayan Smith-Gobat vor zwei Jahren in einem aufsehenerregenden Kletterdrama die 1300 Meter hohe Ostwand des Torre Central in Patagonien durchstiegen. Niemand sprach über ihn, aber seine Bilder gingen um die Welt: Thomas Senf, Fotograf und gebürtiger Leipziger – heute 37 Jahre alt und in der Schweiz zu Hause. Der Sachse hat einen der verrücktesten Berufe, die man sich vorstellen kann. Er folgt seinen Motiven bis in die Grenzbereiche von Leben und Tod. Ein Gespräch über Abgründe, die Jagd nach dem Augenblick, vergessene Akkus – und die harte sächsische Kletterschule.
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Thomas, was machst du, wenn du in einer 1000-Meter-Wand plötzlich merkst, dass dir ein Adapter oder Akku für die Kamera fehlt?
Das ist genau das, wovor ich immer Angst hab. Dass mir der Akku runterfällt oder dass ich die Speicherkarte unten vergesse.
Und wenn?
Wenn wir dort nur fürs Shooting klettern, ist die Tour zu Ende. Dann heißt es einfach Abbruch. Wenn irgendein wichtiges Teil fehlt, kann das ein Killerkriterium sein. Das kommt aber eher selten vor an einer 1000-Meter-Wand. Da steht normalerweise die Begehung im Vordergrund – und nicht das Shooting. Meistens hat man ja unter solchen Umständen auch noch wenigstens eine kleine Backup-Kamera dabei, auf die man zur Not zurückgreifen kann. In den Torres del Paine, wo ich mit Ines Papert und Mayan klettern war, da ist der Ines was Derartiges passiert. 1000 Meter überm Boden fiel ihr plötzlich ein, dass sie unsere einzige Eisschraube unten vergessen hatte. Was dann dazu führte, dass sie über die ganze Wand abseilen und anschließend wieder aufsteigen musste, nur um die Schraube zu holen.
Das hält dann die ganze Mannschaft auf – und schlimmstenfalls verpasst du als Fotograf dabei das beste Licht.
Wer schon mal so eine große Wand gemacht hat, der weiß, da gibt´s etliche Sachen, die man lieber nicht vergisst oder runterfallen lässt. Sonst steht das ganze Projekt auf der Kippe. Ich hoffe, dass mir das nie passiert.
Als Kletterfotograf arbeitest du ja sowieso unter Schwerstbedingungen. Die Materialfrage kommt noch hinzu. Das Licht und das Wetter kannst du dir an einem Ort wie Patagonien nicht aussuchen. Und deine Fotomodels müssen ihre Session zunächst mal überleben, bevor sie sich Gedanken darüber machen können, ob sie dabei gut aussehen.
Das ist sicher eine der großen Herausforderungen. Man muss mit dem zurechtkommen, was man vorfindet. Aber das ist ein Umstand, den ich extrem spannend finde an meiner Arbeit. Als Studiofotograf kann ich einen ganzen Tag lang an einem Bild herumproben – an der Wand muss man aus der jeweiligen Situation das Beste machen. Aber manchmal ergeben sich in meinem Job eben auch Situationen, die einfach nur umwerfend schön sind. Im größten Sturm, wenn für zwei Minuten die Sonne rauskommt und ein völlig unwirkliches Licht erzeugt. Das sind so die kurzen Momente, für die man den ganzen Mist auf sich nimmt.
Riders on the Storm – Volles Risiko am Torre Central
Ines Papert und Mayan Smith-Gobat im Interview:
Also seid ihr an der Wand allesamt „Jäger des Augenblicks“ – deine Protagonisten und du…
Das trifft es wahrscheinlich recht gut. Auf der anderen Seite braucht es bei so einer Tour aber auch wahnsinnig viel Planung. Wie bringt man das logistisch hin, dass ich im richtigen Moment am richtigen Ort bin? Vielleicht muss man eine Seillänge zweimal klettern oder es kommt vor, dass ich mal eine Länge vorsteige. Das kann auch bedeuten, dass wir nachts um drei an Fixseilen schon hochsteigen, damit wir in der entscheidenden Seillänge das allererste Sonnenlicht erwischen. Wenn keine Wolken sind. In Patagonien hat das funktioniert.
Im Profibergsport bestimmt also der Fotograf über den Verlauf der Tour? Richtet sich am Ende alles nur nach den Motiven, die du im Kopf hast?
Haha, schön wär´s! Schlussendlich muss man immer wieder irgendwelche Kompromisse finden. Klar, in erster Linie geht´s darum, dass man die Wand hochkommt und die Jungs und Mädels ihre Route klettern können. Die schönsten Bilder bringen ja nichts, wenn man nicht hochkommt. In dem Sinn hat das natürlich schon Priorität, das Bergsteigerische. Die fotografischen Sachen trotzdem so gut wie möglich umzusetzen – das ist die Kunst.
Dafür musst du genauso gut wie deine Protagonisten klettern können.
Mit den Leuten mitzuhalten ist sicher eine der Schlüsselkompetenzen in meinem Beruf. Man muss vielleicht nicht die schwerste Seillänge Rotpunkt klettern können (ohne sich zwischendurch an Sicherungspunkten auszuruhen – A. d. Red.), aber man ist in der gleichen Wand unterwegs – das ist die Voraussetzung, um überhaupt an die richtigen Orte zu kommen. Plus dann noch genug Energie zu haben, um die Kamera zu zücken.
Gelangst du dabei an deine Grenzen?
Patagonien war schon sehr speziell, da haben wir in der Route ziemlich viele Fixseile gelegt, an denen ich mich auch gut auf und ab bewegen konnte. So macht man das eher selten. Meistens klettert man solche Wände mehr oder weniger parallel. Wie zum Beispiel an der Eiger-Nordwand, wo ich dann vielleicht mit jemanden vorausklettere, und eine zweite Seilschaft kommt hinterher. An meine Grenzen komm ich auf jeden Fall, als Fotograf genauso wie die Kletterer, um die es geht. Es ist eine Erfahrungssache, seine Kräfte so einzuteilen, dass man noch Reserven hat – für den entscheidenden Moment. Wenn ich da an meine erste Expedition zurückdenke – damals bin ich schon im Basislager höhenkrank abgestiegen. Ich dachte, ich muss den großen Superhelden zeigen, was ich kann. Heute kenne ich meinen Körper deutlich besser und bin vielleicht auch ein bisschen cooler.
Wie bist du eigentlich zu diesem verrückten Berufsweg gekommen?
Ich kann nicht sagen, dass ich das großartig geplant hätte. Da war diese erste richtige Expedition nach Indien an den Thalay Sagar vor 15 Jahren mit Stephan Siegrist, Denis Burdet und Ralf Weber. Und alle drei sind so ungefähr zehn Jahre älter als ich. Ich bin da als Jungspund mit, was natürlich recht aufregend war für mich. Fotografiert hab ich schon immer gerne beim Klettern. Anfangs im Elbsandsteingebirge, dass ich meiner Mutter am Sonntagabend zeigen konnte, wo ihr Junge sich die ganze Zeit rumtreibt. Ja und in Indien war ich dann einfach der von uns, der die meisten Bilder gemacht hat – einfach aus Freude am Fotografieren. Als wir wieder daheim waren, haben uns ein paar Magazine und Sponsoren Geld für die Bilder bezahlt – und ich hab gecheckt, dass man mit Fotografieren und speziell mit Bergfotografie auch Geld verdienen kann. Stephan Siegrist war früher sehr viel mit Thomas Ulrich unterwegs, der hat aber dann sein eigenes Ding gemacht. Also brauchte er einen neuen Fotografen für seine Geschichten – daraus entstand unsere Zusammenarbeit und ich bin so langsam in das ganze Business reingerutscht. Es hat aber noch drei, vier Jahre gedauert, bis ich mehr oder weniger davon leben konnte.
Also Glück und die richtigen Leute zur richtigen Zeit…
Auf jeden Fall. Beispielsweise war Stephan Siegrist in dieser Zeit mit Ines Papert liiert, so hab auch ich sie dann kennengelernt und bin seitdem sehr regelmäßig mit ihr unterwegs. Wie das halt so funktioniert mit den Netzwerken.
Was hast du vorher gemacht, bis du von der Fotografie leben konntest?
Das hat sich alles gut ergänzt. Kurz vorher hatte ich mit der Bergführer-Ausbildung begonnen und hab dann als Bergführer gearbeitet – und je mehr die Fotografie gewachsen ist, umso mehr konnte ich das Bergführen später wieder zurückschrauben. In einem normalen Job wäre das wahrscheinlich schwieriger gewesen oder hätte einen harten Schnitt erfordert.
In wessen Auftrag arbeitest du heute?
Ich bin einfach selbstständig und hab völlig verschiedene Auftraggeber.
Die Sponsoren von Kletterern, mit denen du unterwegs bist…
Ja, man kann sicher sagen, dass das die Hauptauftraggeber sind. So, wie das vor zehn Jahren lief – dass man auf eine Expedition gegangen ist und dann die Bilder an Bergsportmagazine verkauft hat – so funktioniert das heute nicht mehr. Das gibt´s als Geschäftsmodell eigentlich nicht mehr. Ich verkaufe zwar immer noch Bilder an Hefte, aber davon könnte ich nie leben.
Mit welchen Profi-Kletterern hast du schon gearbeitet?
Das waren einige: Stephan Siegrist, Ines Papert, Dani Arnold, Alex Huber, Mayan Smith-Gobat, Robert Jasper…
Geboren bist du in Sachsen, in Leipzig – was verbindet dich noch mit der alten Heimat?
Ich glaube, die „alte Heimat“ ist für mich heute in erster Linie das Elbsandsteingebirge. Da war ich als Teeny in jeder freien Minute. Auch während meines Maschinenbau-Studiums in Dresden. Da hab ich mehr Zeit am Felsen als im Vorlesungssaal verbracht. Das ist für mich noch immer ganz fest Heimat irgendwie. Immer, wenn ich zurückkomme und da klettere, spüre ich das wieder. Das ist, glaub ich, das Einzige, was ich an meiner alten Heimat wirklich vermisse: dieses Leben in den Sandsteintürmen und das Draußensein dort.
Du kommst also noch gelegentlich zurück nach Sachsen?
Ja schon – vielleicht alle zwei Jahre mal. Und sehr gerne zum Klettern. Ich bin dann immer wieder beeindruckt, wie sehr ich mir in die Hose mache. In Routen, die früher locker gingen.
Und das sagt jemand, der den Torre Central geklettert ist…
Jeder, der im Elbsandstein geklettert ist, weiß, dass es dort anders ist. Die Art der Kletterei und die Absicherung. Es gibt sicher Sachen, die man nicht verlernt. Aber es braucht doch jedesmal ein paar Tage Gewöhnungszeit, bis man wieder locker über eine Schlinge klettert.
Thomas Senf – Zur Person
- Geboren wird Thomas am 2. Mai 1981 in Leipzig.
- Seine Kindheit und Jugend verbringt er in Sachsen, absolviert ein Maschinenbau-Studium in Dresden, macht erste Klettererfahrungen im Elbsandstein.
- Für sein Praxissemester wechselt er in die Schweiz, arbeitet dort eine Zeit lang in der Produktentwicklung der Firma Mammut und als Skilehrer.
- Später lässt er sich zum Bergführer ausbilden, führt Touren in den Alpen. In dieser Zeit gelangt auch sein Faible für die Fotografie zu voller Blüte.
- Heute lebt und arbeitet Thomas in Gsteigwiler in der Nähe von Interlaken.
- Er hat eine Freundin und einen 16 Monate alten Sohn.
Thomas im Internet: http://thomassenf.ch/
Hat dir diese Schule später in den großen Wänden genützt?
Klar. Das Elbsandsteingebirge ist eine der besten Bergsteigerschulen, die man finden kann auf der Welt. Man ist dort die ganze Zeit in psychisch anspruchsvollem Gelände unterwegs. Ich meine – so bei jedem Wetter irgendwelche Türme und Kamine hoch und runter und ungesichert von Gipfel zu Gipfel. Im Elbsandstein ist das völlig normal – aber wenn man hier in den Alpen so klettert, schütteln alle nur den Kopf. Davon profitiere ich auf jeden Fall.
Würdest du sagen, du hast schon alle Ziele erreicht und alle Träume gelebt?
Das ist eine große Frage. Ganz sicher nicht. Mit der Geburt meines Sohnes hab ich gemerkt, wie schön es ist, dass ich so viel unterwegs war und auf so vielen Bergen gestanden hab. Dadurch spielt es jetzt keine so große Rolle mehr für mich, ob´s ein Berg mehr oder weniger ist. Ich kann inzwischen relativ locker auch eine Expedition ablehnen, was vor ein paar Jahren so noch nicht gegangen wäre. Und das ist ein angenehmes Gefühl. Nicht mehr so getrieben zu sein. Natürlich juckt´s mich immer noch in den Fingern, wenn ich einen schönen Berg sehe. Aber beruflich kann ich mich auch auf andere Weise weiterentwickeln. Zurzeit beschäftige ich mich recht intensiv mit dem ganzen Metier Film. Die Filmerei ist etwas, was in den letzten Jahren immer stärker dazu gekommen ist in meiner Arbeit. Da sind ganz neue Ideen und auch andere Ausdrucksformen möglich. Und das finde ich sehr spannend.
Gespräch: Hartmut Landgraf
Lieber Hartmut, lieber Thomas, ganz spannende Sache – und toll aufgeschrieben. Zur eigenen Vorstellung kommen so die Zusammenhänge und Hintergründe und „Motive“ – und das gleich in mehrfacher Hinsicht. Danke und Glückwunsch! Achim