Plaisir – Das fehlte noch!

Fotomontage - Kletterführerautor Helmut Schulze mit seinem Werk
Einer für alle - In seinem Auswahlführer "Elbsandstein plaisir" hat Helmut Schulze die 300 schönsten Elbsandsteinrouten zusammengetragen. (Fotomontage: Hartmut Landgraf)

Helmut Schulze hatte wohl buchstäblich Rosinen im Kopf, als er anfing, nach den schönsten Kletterrouten der Sächsischen Schweiz zu suchen. Vier Jahre später ist er fertig: sein Auswahlführer für Elbsandsteinkletterer. Eine Art Hintertreppe für alle, die an den heiligen Felsen der Sachsen nicht gleich Kopf und Kragen riskieren wollen. Ein Gespräch über Genuss, der im Sand verläuft.

Wer im Elbsandsteingebirge klettern geht, hatte bisher ein Problem – zu viel Auswahl. Besonders für Anfänger und Gebietsneulinge war es schwer, sich mithilfe der Kletterführerliteratur Zugänge zum sächsischen Sandstein zu erschließen. Denn nur Eingeweihte wissen, was sich hinter nüchternen Wegbeschreibungen mitunter verbirgt. Mit der berüchtigten Kotzbrockenliste gab´s bislang nur ein inoffizielles Schwarzbuch: eine Liste der fürchterlichsten Elbsandsteinrouten. Was fehlte, war das Gegenteil: ein Best-of-Album des hiesigen Bergsports. Im Panico-Verlag ist jetzt ein Kletterführer erschienen, der genau das bieten will: eine Positivliste der 300 schönsten Kletterwege. Verfasst hat ihn Helmut Schulze – ein in der Region bekannter Kletterfotograf – zusammen mit seinem Sohn Valentin Hölker. Helmut kennt nicht nur die Sächsische Schweiz wie seine Westentasche, sondern auch ihre Gipfel. Jeden einzelnen davon hat er selbst bestiegen, doch mit diesem Projekt betrat er trotzdem Neuland.

_______________

Helmut, dein Führer heißt „Elbsandstein plaisir“ – wie passt das eine zum anderen?

Genau, das erscheint wie ein Widerspruch in sich. Das Wort Plaisir kommt aus dem Französischen und bedeutet Freude oder Vergnügen. Was man natürlich auch beim Klettern im sächsischen Sandstein haben darf – auch wenn das Gebiet spezielle Anforderungen an das Können und die mentale Verfassung der Kletterer stellt. Die Einstufung als Plaisirkletterei bedeutet ja auch anderswo keinesfalls, dass alle zwei Meter irgendein Bohrhaken steckt, sondern dass die Schwierigkeit human ist, nicht extrem, und dass man Freude an der Tour hat, weil sie einfach schön ist.

Das Elbsandsteingebirge hat seinen Ruf als furchterregendes Klettergebiet weg…

Auch hier gibt es viele schöne und gut gesicherte Kletterwege, das Problem ist nur, sie zu finden – unter den insgesamt 21.000 Routen in der Sächsischen Schweiz. Vom Sächsischen Bergsteigerbund wurde mal das Gipfelbuch des Falkensteins ausgewertet. Dabei kam heraus, dass von den vorhandenen 100 Routen dort nur 10 Prozent wirklich geklettert werden. Das ist nur ein Beispiel. Es gibt ganz viele Felsen und Wege, die aus den unterschiedlichsten Gründen fast nie oder nur selten geklettert werden – manche sind grün und dreckig, andere unbedeutend oder ungenügend gesichert oder beides. Für einen Fremden ist es schwer, sich da zurechtzufinden und fast unmöglich, die Perlen herauszufiltern.

Kletterin an Felskante
Gerit Sophie Heidel ist sich sicher: Ich „Komm wieder“ – Großer Lorenzstein/VIIa. Im Auswahlführer beschrieben auf Seite 342. (Foto: Helmut Schulze)

Inwiefern leistet dein Kletterführer da Hilfestellung?

Eben weil es ja genau mein Anliegen war, Elbsandstein-Neulingen den Einstieg zu erleichtern und erste Handlungsempfehlungen zu geben. Sodass sie wissen, wo sie klettern können und wo Routen sind, in die man Gebietsfremde und Anfänger auch wirklich mit ruhigem Gewissen hineinschicken kann. Einen Auswahlführer zu machen, dieser Gedanke ist aber an sich gar nicht so neu. Schon Rudolf Fehrmann hat in seinem Führer von 1923 Sternchen vergeben und unbedeutende Gipfel gar nicht erst beschrieben – er hat also schon selektiert.

Und was ist dann das Besondere an deinem Führer?

Er macht einem Neuling den Zugang zu lohnenden Kletterzielen so einfach wie möglich: Er beschreibt nicht nur schöne Felsen und Routen an sich, sondern auch wie man hinkommt und sie findet. Der Führer enthält sehr viele Topos und Fotos, die zeigen, wo genau die Route verläuft und wo gute Sicherungsmöglichkeiten sind. Ganz neu ist die E-Bewertung, mit der die Ernsthaftigkeit einer Route eingeschätzt wird. Zwar kann man nicht jede Route in ein solches bürokratisches Konzept reinquetschen – aber ein paar schon, und dort ist diese zusätzliche Bewertung auch sinnvoll. Routen mit E 0 oder E 1 haben viele Sicherungsringe oder man kann dort sehr viele Schlingen legen – die Stellen am Fels, wo sie sich anbringen lassen, sind zudem offensichtlich. E 2 ist die normale sächsische Absicherung, das heißt, es gibt nicht übermäßig viel zum Sichern, aber du kannst ab und an mal eine Schlinge legen.

Ein Blick ins Innere des Kletterführers – Topo vom Falkenstein. (Quelle: Panico Alpinverlag)

Es bleibt immer ein Unterschied zwischen einer Wegbeschreibung im Kletterführer und den realen Gegebenheiten in der Wand.

Ja, und genau deshalb weicht der Führer auch teilweise von alten Wegbeschreibungen ab und zeigt die Routen so, wie sie heute geklettert werden. Oftmals haben wir sogar nochmal mit dem Kompass nachgemessen, ob die alten Angaben stimmen – und siehe da, es gab stellenweise Abweichungen. Der Rhombus steht zwar nicht im Auswahlführer, aber dort ist uns zum Beispiel vor ein paar Tagen aufgefallen, da ist eine Route als Südostriss bekannt, und wenn man mit dem Kompass guckt – sowas hat man ja heute am Telefon – dann ist es die Ostseite und nichts anderes.

Die Vordere Gans in Rathen – Südwand oder Südwestwand, was ist richtig?

(lacht) Dieser Weg ist bei uns nicht drin und ich habe dort auch nicht den Kompass drangehalten. Eine Vordere Gans gibt´s außerdem auch gar nicht, wenn schon, dann einen Vorderen Gansfels.

Bei welcher Klettertour ist dir bewusst geworden, dass genau so ein Führer noch fehlt?

Die Idee kam vom Verlag, und ich wurde zunächst nur gefragt, ob ich Fotos dazu machen würde. Wir haben auch über andere Projekte gesprochen, und dann stand die Frage nach Topos im Raum. Irgendwann haben wir gesagt, wir machen das – Valentin und ich. Mit der Auswahl allein war´s aber nicht getan, viele Routen musste ich nochmal klettern, damit die Beschreibungen auch hinhauen. Bildmaterial fehlte auch noch, ja und am Ende hat das alles vier Jahre gedauert. Bis kurz vor der Veröffentlichung gab´s im Layout des Führers noch rote Flächen, wo noch Bilder gemacht werden mussten.

Kletterer an Felskante
Felix Gottlöber in der ersten Schlüsselstelle der Amselseekante (VIIb) am Vexierturm – beschrieben auf Seite 218 im Auswahlführer. (Foto: Helmut Schulze)

Mit einem Auswahlführer fällst du ein Qualitätsurteil. Dafür mag es zwar objektive Kriterien geben, aber gerade in Sachsen gehört beim Klettern immer auch ein Stück Bauchgefühl dazu. Das lässt sich weder leugnen, noch verallgemeinern. Dem einen liegen Risse, ein anderer fühlt sich auf Reibungsrouten wohl. Einer genießt das Fingerspitzengefühl an der Wand, der nächste vertraut lieber seinem Hintern und bleibt wo es geht im Kamin. Insofern: Was ist Plaisir? Darüber lässt sich streiten.

Wir haben den Führer ja nicht vom Schreibtisch aus gemacht. Wir sind selbst draußen gewesen und haben auch Freunde gefragt. Wir haben in Datenbanken recherchiert, haben uns die Kommentare durchgelesen und geschaut, wie andere die Routen bewerten. Alles, um eine gute Balance zu finden. Zu diesem Zweck haben wir teilweise dann auch Schwierigkeitsgrade neu bewertet, in mehreren Fällen einen Weg sogar um zwei Grad nach oben gestuft.

Aber 300 Routen von 21.000 – Da musste doch sicher viel Schönes draußen bleiben.

Ich denke mal wir haben jetzt die schönsten Routen drin. Klar gibt’s immer Ergänzungsmöglichkeiten, und eine zweite Auflage verkauft sich ja auch besser, wenn neue Sektoren dazukommen. Also wir haben schon noch Ideen. Aber das ist jetzt für den Anfang erstmal ein guter Querschnitt. Es gibt Sektoren, zu denen man mit Kindern hingehen kann. Kletterer, die ganz neu beginnen, finden ihre Ziele. Aber auch an den Siebener-Kletterer ist gedacht. Ich denke, das ist eine runde Sache geworden.

Kletterer an Felsnadel
Die Tante bekommt Besuch. Eine Seilschaft an der Perrykante/V – beschrieben auf Seite 280 im Auswahlführer. (Foto: Helmut Schulze)

Was rätst du einem gebietsfremden Kletterer – sagen wir aus Franken – der zum ersten Mal ins Elbsandsteingebirge kommt? Was muss er können, wie sollte er drauf sein?

Die Frage ist, ob er wirklich nur die Fränkische Schweiz mit ihren gut gesicherten Sportkletterrouten kennt oder ob er auch schon in anderen Klettergebieten unterwegs war. Wer mit Keilen umgehen kann, der wird auch eine Knotenschlinge legen können, weil das Funktionsprinzip ja im Endeffekt dasselbe ist. Und wer eine Zackenschlinge legen kann, für den ist auch eine Plattenschlinge oder eine Sanduhrschlinge nichts Kompliziertes. Wer natürlich bisher nur von einem Bohrhaken zum anderen geklettert ist, der sollte im Elbsandstein lieber erstmal klein anfangen. Was weiß ich – vielleicht barfuß auf den Honigstein laufen.

Manche schleichen auch ewig um die Sächsische Schweiz rum, wie um den heißen Brei.

Das liegt an dem Mythos, der ihr vorauseilt. Es hat sich noch nicht herumgesprochen, dass hier in den letzten Jahren gerade in den oberen Schwierigkeitsgraden ziemlich viele gut gesicherte Routen hinzugekommen sind. Und wenn ich in anderen Klettergebieten unterwegs bin, dann bin ich genauso gefordert. Also die Plaisirgebiete in der Schweiz, da hat man im sechsten Grad mitunter nur einen Bohrhaken in der Seillänge. Und den Rest musst du dir irgendwie mit Keilen und Friends absichern.

Beides verboten im Elbsandstein. Stattdessen nehmen die Kletterer hier in letzter Zeit auch textile Klemmgeräte zum Sichern – sogenannte Ufos. Noch ist das bei vielen umstritten. Was hältst du davon?

Da bin ich durchaus ein Befürworter. Warum sollte man nicht alle Möglichkeiten nutzen, die es zur Sicherung gibt? Früher hieß es, an Schlingenmaterial nimmt man das, was der Bergsport selbst hergibt. Und dann kamen Schiffstaue hinzu, mit denen man breitere Risse eben besser absichern konnte. Tradition entwickelt sich weiter. Eine Route wird ja nicht leichter dadurch, dass man sich an Ufos sichert.  Eigentlich kommen diese Geräte dem Grundgedanken des sächsischen Kletterns sehr entgegen: Ich finde es jedenfalls besser, eine Route mit mobilen Sicherungsgeräten selbst abzusichern, als nachträglich Ringe zu setzen.

Der Dezember steht vor der Tür – was geht draußen noch, was kannst du empfehlen?

Das lässt sich überhaupt nicht sagen, das hängt von der Witterung ab. Wenn´s weiter so viel regnet, sind die Felsen einfach tropfnass. Letzen Winter hingegen war´s schweinekalt, da konnte man wunderbar klettern, weil durch die langanhaltende Trockenheit die Felsen einfach gefriergetrocknet waren. Da waren teilweise grüne Felsen in einem Zustand, der fürs Klettern besser geeignet war als den ganzen Sommer lang.

Das Bielatal trocknet schnell ab und ist vom Gestein auch vergleichsweise fest.

Dort hat man immer ein bisschen das Problem mit der böhmischen Walze, dass der Nebel aus dem Böhmischen Becken über die Berge drückt und dass es dann entsprechend nass ist. Dazu gibt es einfach keine pauschalen Aussagen. An der Grenzplatte herrschen andere Bedingungen als an der Johanniswacht. Wenn hinten was geht, muss das vorn nicht genauso sein. Ich finde ja auch die These, man müsse nach einem Regenguss 48 Stunden mit dem Klettern warten, an den Haaren herbeigezogen. Das hat dieser Sommer gezeigt. Wenn´s monatelang trocken war und dann regnet es mal drauf, dann dringt die Feuchtigkeit nicht ein, sondern verdunstet gleich wieder am warmen Fels. Im August ist dazu eine ganz andere Aussage zu treffen als im November. Und böse Zungen – (lacht) – behaupten ja sogar, nach einem kräftigen Regen sollte man in Rathen klettern gehen, weil das Gestein dort so bindemittelarm ist und das Wasser deshalb gut nach innen wegläuft.

Da fallen dann aber auch schon mal ganze Türme zusammen…

Kann passieren.

Gespräch: Hartmut Landgraf

Buchtipp

„Elbsandstein plaisir“ von Helmut Schulze und Valentin Hölker

  • 2018, Panico Alpinverlag, Köngen
  • 368 Seiten, reich bebildert | Die 300 lohnendsten Elbsandsteinrouten in der Schwierigkeit I bis VII (sächs.) mit ausführlicher Wegbeschreibung, GPS-Koordinaten, Topos und Hinweisen zur Absicherung.
  • Preis: 34,80 EUR

ISBN: 978-3-95611-071-9

Ab sofort im Buchhandel oder im Webshop des Autors: www.sandsteinbilder.com

Hinterlasse jetzt einen Kommentar

Kommentar hinterlassen

E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht.


*