John Muir: Nationalparks sind Orte zur Freude der Welt

Besuchermassen, Müll und Artenschutzprobleme, Wegsperrungen, Boofenverbot – der Nationalpark Sächsische Schweiz erscheint so bedrängt und gefordert wie lange nicht. Was würde John Muir dazu sagen? Ein posthumes Interview mit dem „Vater“ der Nationalparkidee.

Dieses Gespräch hat nie stattgefunden. Der schottisch-amerikanische Naturphilosoph John Muir (1838-1914) war jedoch als Vordenker und wichtiger politischer Lobbyist für die ersten Nationalparks in den Vereinigten Staaten ein maßgeblicher Wegbereiter des Naturschutzes, dessen Ideen und Gedanken Nationalparkgründungen auf der ganzen Welt inspiriert haben und bis heute begleiten. Insofern finde ich die Frage legitim, was der „Vater der Nationalparks“ über die Entwicklung seiner Ideen in der heutigen Zeit und die Konflikte zu sagen hätte, die sich daraus ergeben – etwa zwischen Naturschutz und Massentourismus. Bei John Muirs Antworten handelt es sich um Originalzitate aus seinen Reden, Tagebüchern und Zeitungsbeiträgen, die er zu Lebzeiten verfasst hat, die Quellen stehen anbei. Ein posthumes „Interview“ auf dieser Basis ist natürlich ein gewagtes, in mancher Hinsicht sicher auch fragwürdiges journalistisches Unterfangen, weil es Aussagen aus ihrem historischen Zusammenhang reißt und in einen anderen, aktuelleren Kontext stellt. Zudem: Was John Muir seinerzeit noch nicht wissen konnte bzw. wozu er sich zu Lebzeiten nicht geäußert hat, kann man ihn posthum auch nicht fragen – die Fragen führen somit nicht zu den Antworten, sondern die Antworten zu den Fragen. Für mich war es dennoch ein spannendes Experiment und eine abenteuerliche Reise in die Gedankenwelt dieses frühen Naturschützers.

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Mr. Muir, in diesem Jahr wird die Nationalparkidee 150 Jahre alt. 1872 erließ der Kongress der Vereinigten Staaten ein Gesetz zum Schutz von mehreren Tausend Quadratkilometern Wildnis im Gebiet des Yellowstone River – und schuf damit den ersten Nationalpark der Welt. Welchem Zweck dienen Nationalparks, was ist ihr wichtigstes Anliegen?

Überall auf der Welt geht die Einrichtung von Gärten und Parks mit Kultur einher, und ihre Größe und Anzahl steigt, weil ihr Wert erkannt wurde. Jeder braucht Schönheit so nötig wie Brot, Orte zum Spielen und zum Beten, wo die Natur den Körper und die Seele heilen und erfreuen und stärken kann. Dieser Hunger nach Natur zeigt sich in den kleinen Fensterbankgärten der Armen (…), in den Tausenden weitläufigen Stadtparks und botanischen Gärten, schließlich in unseren grandiosen Nationalparks, den erhabenen Wunderwelten der Natur zur Bewunderung und Freude der Welt.

(The Yosemity, 1912)

Woher kommt dieser unersättliche „Hunger nach Natur“?

Ich (…) denke an die Tausende, die Ruhe brauchen – die müde an Seele und Gliedern sind, die in Stadt und Ebene schuften, die am Mangel dessen sterben, was die großen alten Wälder ihnen geben können.

(Tagebücher, 1875)

Macht es Sie demnach froh, wenn immer mehr Menschen in die Nationalparks strömen – auf der Suche nach solchen Erlebnissen?

Die Tendenz heutzutage in der Wildnis zu wandern ist herrlich zu sehen. Tausende von müden, nervlich zerrütteten, überzivilisierten Menschen beginnen herauszufinden, dass in die Berge zu gehen bedeutet, nach Hause zu gehen, und dass Bergparks und Reservate nicht nur wegen ihrer Holz- und Wasservorräte nützlich sind, sondern auch als Lebensquellen. (…) Flüsse zu ihren Quellen zurückzuverfolgen, mit den Nervenbahnen von Mutter Erde in Berührung zu kommen, von Fels zu Fels zu springen und das Leben in ihnen zu spüren (…) das alles ist schön und natürlich und voller Versprechen.

(Our National Parks, 1901)

Sie reden von Natur oft in religiösen Metaphern. Von „Tempeln“, die vor der Zerstörung bewahrt werden müssen – vor Raubbau und Abholzung. Naturschutz verlangt eine Art Glaubensbekenntnis. Politisch lässt er sich aber am ehesten durchsetzen, wenn er einen nachweislichen Nutzen bringt. Zum Beispiel in touristischer Hinsicht.

Es ist ermutigend zu erfahren, dass so viele der jungen Männer und Frauen, die in Kalifornien aufwachsen, jeden Sommer in die Berge gehen und gute Bergsteiger werden – und natürlich gute Verteidiger der Sierra-Wälder und all ihrer lebendigen Schönheit.

(Rede vor dem Sierraclub, 1895)

Das hat aber auch Kehrseiten. Die negativen Folgen dieser Naturbegeisterung wurden bereits zu Ihren Lebzeiten im damals noch jungen Yosemite-Nationalpark spürbar.

Jedes Jahr steigt die Zahl der Camper und natürlich nehmen die Tritt- und Umweltschäden mit jeder Saison zu. Campinggruppen sind verpflichtet, sich bei ihrer Ankunft im Tal bei den Parkwächtern zu melden, sich zu registrieren und Zeltplätze zuweisen zu lassen. Sie werden auf Regeln und Vorschriften hingewiesen, die das Fällen von Bäumen und Unterholz verbieten. Aber weil die Wächter keine Macht haben die Regeln durchzusetzen und keinen einzigen Polizisten unter ihrem Kommando, bleiben sie wirkungslos.

(Rede vor dem Sierraclub, 1895)

John Muir (rechts) mit US-Präsident Theodore Roosevelt am Glacier Point im Yosemite Nationalpark, um 1903. In Roosevelt fand Muir einen wichtigen Befürworter und Unterstützer seiner Ideen. (Quelle: U.S. National Park Service)

Ist es nicht widersprüchlich, dass sich die Leute einerseits nach Natur sehnen, ihr aber andererseits so wenig Respekt entgegenbringen?

Die meisten Menschen sind auf der Welt, nicht in ihr – haben keine bewusste Sympathie oder Beziehung zu irgendetwas um sie herum – unvermischt, losgelöst und starr wie Murmeln aus poliertem Stein, die sich berühren, aber getrennt sind.

(The Unpublished Journals of John Muir, 1938)

Wie erlangen wir diese Verbundenheit zurück?

Beobachten Sie die Sonnenstrahlen, wie sie über die Wälder strömen und die Blumen wecken (…), zahllose Flügel in Bewegung setzen – Diamanten aus Tautropfen machen, Teiche versilbern, den Sprühnebel der Wasserfälle in Regenbogenfarben malen.

(Tagebücher, undatiert)

Eine schöne Vorstellung.

Kein Synonym für Gott ist so perfekt wie Schönheit. Ob sie die Berglinien mit Gletschern meißelt oder Materie zu Sternen ballt oder die Bewegung des Wassers entwirft oder im Garten arbeitet – alles ist Schönheit!

(Tagebücher, 1875)

Nur leider verstellt uns der Alltag dafür immer wieder den Blick…

Bleiben Sie nah am Herzen der Natur (…) und brechen Sie ab und zu aus, erklimmen Sie einen Berg oder verbringen Sie eine Woche im Wald.

(Alaska Days mit John Muir, Samuel Hall Young, 1915)

Erlebnisse, um die es geht: Morgenstimmung im Nationalpark Sächsische Schweiz. (Foto: Hartmut Landgraf)

Leichter gesagt als getan. Im Grunde kann ja niemand einfach so über den Gartenzaun springen und loswandern, wann es ihm passt. Vorher gibt´s eine ganze Menge zu klären: Urlaub nehmen, Tickets buchen, Führer und Karten studieren, Gaskartuschen besorgen, das Haus verriegeln, die Katze zum Nachbarn schaffen. Das will alles gut vorbereitet sein.

Seltsam, dieses ungläubige Gewese um eine Wanderung am sichersten und angenehmsten aller Orte. (…) Dieses befangene selbstzerfleischende Vorbereiten macht einen untauglich für eine Wanderung in die gute Wildnis.

(Tagebücher, 1873)

Aber einfach los in die Wildnis ohne Ausrüstung und Plan? Was, wenn es Probleme gibt? 

Wenn ein Ausflug in den Wald vorgeschlagen wird, werden alle möglichen Gefahren vorgeschoben – Schlangen, Bären, Indianer. Dennoch ist es viel sicherer, in Gottes Wäldern zu wandern als auf schwarzen Autobahnen zu reisen oder zu Hause zu bleiben. (…) Keine amerikanische Wildnis, die ich kenne, ist so gefährlich wie ein Stadthaus mit all den modernen Verbesserungen. Man sollte aus Sicherheitsgründen in den Wald gehen, wenn schon für nichts anderes…

(Our National Parks, 1901)

Das leuchtet ein. Nur gibt es leider immer weniger unberührte Natur, weil wir zu unserem Selbsterhalt weltweit unermessliche Mengen an Rohstoffen und Flächen verbrauchen. Die Folgen dieser Entwicklung waren auch schon zu Ihren Lebzeiten offensichtlich – und ein wesentlicher Grund für die Einrichtung der ersten Nationalparks.

Es muss wieder und wieder gesagt und in die Gehirne eingebrannt werden, dass in diesem Moment, in dem man noch träge über Schutzmaßnahmen nachdenkt, die Vernichtung und Nutzung mit jedem einzelnen Tag weiter voranschreitet. Axt und Säge sind irrsinnig beschäftigt, Späne fliegen dicht wie Schneeflocken, jeden Sommer gehen Tausende Morgen unbezahlbaren Waldes samt Unterholz, Böden, Quellen, Klima, Landschaft und Religion in Rauchwolken auf.

(Our National Parks, 1901)

Was empfinden Sie dabei?

Ich frage mich oft, was der Mensch mit den Bergen anfangen wird. Das heißt mit seinen nutzbaren, zerstörbaren Gewändern. Wird er alles abholzen und Schiffe und Häuser aus den Bäumen machen? (…) Wird die menschliche Zerstörung (…) ein höheres Wohl hervorbringen? (…) Wird eine bessere Zivilisation entstehen, im Einklang mit der offenbaren Natur?

(Tagebücher, 1875)

Fragen: Hartmut Landgraf

1 Kommentar zu John Muir: Nationalparks sind Orte zur Freude der Welt

  1. Ein gelungenes Experiment. Leider wird im Nationalpark Sächsische Schweiz ein Wanderer und Naturfreund, der ganz allein und lautlos die Natur mal abseits der Wanderautobahnen in einem abgelegenen Gebiet genießen will, als Schädling und Verbrecher in der Natur angesehen, und öffentlich in Kommentaren der Nationalparkverwaltung als „massiver Störenfried der Natur“ bezeichnet. Das widerspricht den Tatsachen und dem Sinn und Zweck eines Nationalparkes. Deshalb Danke für diesen Beitrag, der zum Nachdenken anregt und zeigt, daß ein solcher Wanderer nichts verkehrtes tut. Hoffentlich lesen auch die verantwortlichen Stellen diesen Artikel.

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