Wälder im Wandel

Die Natur im Elbsandsteingebirge reagiert auf die Klimaerwärmung. Heimische Pflanzen- und Tierarten stehen vor ungewohnten Herausforderungen. Welche Folgen hat das? Eine Spurensuche.

Vor sechs Jahren – im Mai 2018 – hat in der Sächsischen Schweiz eine einzelne Baumart ziemlich viel Staub aufgewirbelt. Über den Wäldern standen blassgelbe Wolken, wie Rauchschwaden. Heuschnupfengeplagte Menschen schlossen vorsichtshalber alle Fenster. Autofahrer fanden klebrige Hinterlassenschaften überall auf dem Lack: Es war der Todeskampf der Fichten. Ein letztes Mal gaben die Bäume alles, um ihr Überleben im Elbsandsteingebirge zu sichern und überzogen das Gebiet mit wahren Pollenstürmen.

Fachleute sprechen in so einem Fall von Notfruktifikation, zu gut Deutsch: Angstblüte. Es ist ein Vermehren ums Verrecken. Geholfen hat es den Fichten nicht. In nur wenigen Jahren ist von den einst mystisch-dunklen Nadelwäldern zwischen Hinterhermsdorf und Hohnstein nur wenig übriggeblieben. Das ganze Gebiet ist ein Schlachtfeld aus kreuz und quer übereinander gefallenen Baumleichen. Hier und da spießen noch vereinzelt ein paar kahle, entblätterte Stämme in den Himmel, wie die abgetakelten Masten von Geisterschiffen. Ein winziges Insekt hat den Bäumen den Garaus gemacht: der sogenannte Buchdrucker, eine Borkenkäferart.

Und nun beginnt auf den entblößten Flächen die zweite Phase des Sterbens: in der prallen Sonne vertrocknet das Moos. Nicht nur stellenweise, sondern im großen Stil. Viele, der fürs Elbsandsteingebirge typischen Moosarten mögen es schattig und feucht, im sanften Dämmerlicht am Waldboden oder an sonnenabgewandten Felswänden fühlen sie sich am wohlsten. Doch wo kein Schatten mehr ist und die Sommersonne die kahlen Flächen auf über 30° Celsius erhitzt, geht das Moos ein – wird aschgrau und trocken wie Knäckebrot und stirbt.

Sogenannte ektohydrische Pflanzenarten, zu denen viele Moose gehören, nehmen Wasser mit ihrer ganzen Oberfläche auf. Der neblig-feuchte Morgendunst in den Wäldern ist für sie überlebenswichtig. Zur Luftfeuchtigkeit auf den abgestorbenen Waldflächen hat der Staatsbetrieb Sachsenforst keine Daten – doch die Vermutung liegt nahe, dass diese signifikant niedriger ist als unter einem geschlossenen Kronendach. Damit wird den Moosen die Lebensgrundlage entzogen. Und mit ihnen zahlreichen Blühpflanzen und Kleintieren, die auf ihren feuchten, samtweichen Polstern siedeln.


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Mit Unterstützung des Vereins der Freunde des Nationalparks Sächsische Schweiz

Martin Stock im Landesamt für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie wertet die Daten zur Klimaentwicklung und Biodiversität in Sachsen aus – und führt sie zusammen. ©Hartmut Landgraf

Der eigentliche Verursacher dieses ökologischen Dramas hat in der Region aber längst auch andere Entwicklungen angeschoben: der Klimawandel. Extreme Dürresommer, kürzere Winter, Niederschlagsdefizite übers Jahr – das alles stellt Pflanzen und Tiere zunehmend vor Probleme. In der heimischen Natur beginnt sich manches zu verschieben. Welche Anzeichen es dafür schon gibt und welche Folgen sie haben, erfahrt ihr im Beitrag. Darunter sind außerdem zwei weiterführende Beiträge zur Klimaerwärmung verlinkt: warnende Stimmen aus der Wetterwarte Zinnwald – und aus der Arktis.

Mehr zum Thema: Warnende Stimmen aus Zinnwald und Spitzbergen

Geschmolzener SchneemannDer Wandel in Sachsen: 2016 – T-Shirt-Wetter, mitten im Februar. Kann man das überhaupt noch Winter nennen? Schnee und Frost lassen Sachsen immer öfter im Stich. Selbst am kältesten bewohnten Punkt Deutschlands sind die Temperaturen für die Jahreszeit viel zu warm. Das eigentlich Ungewöhnliche daran ist, dass die milde Witterung so lange anhält, sagt Meteorologe Norbert Märcz. Ein Besuch in der Wetterwarte Zinnwald. >>> zum Beitrag

Der Wandel in der Arktis: 2021. Line Nagell Ylvisåker arbeitet als Reporterin für die norwegische Lokalzeitung Svalbardposten in Longyearbyen auf Spitzbergen und sieht, mit welchem Tempo der Klimawandel ihren Heimatort verändert: Lawinen, Regen, offene Strände, wo früher Eis war. Sie beginnt zu begreifen, dass mit ihrer Welt etwas nicht mehr stimmt. Im Interview mit dem Sandsteinblogger warnt die Buchautorin: Was der Arktis passiert, betrifft euch alle. >>> zum Beitrag

Folgen des Klimawandels: Wie sich die Natur im Elbsandsteingebirge verändert

Waldökologe Ronny Goldberg von der Nationalparkverwaltung im Revier des Borkenkäfers. Die Wälder im Zschandgebiet gehörten zu den erste, die das Insekt zunichte gemacht hat. Unter den toten Fichten recken sich aber inzwischen wieder junge Bäumchen in die Höhe. ©Hartmut Landgraf

Zwei Gewinner

Zwei Verlierer

Die Zeit der mystisch-dunklen Nadelwälder im Elbsandsteingebirge ist wohl vorbei. Auf längere Sicht wird hier ein neuer Wald wachsen. Wie er aussehen wird, ist eine offene Frage. ©Hartmut Landgraf

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