Von den großen Bergen ins große Reise-Geschäft. Der Dresdner Markus Walter hat den Sprung geschafft. Die Geschichte einer außergewöhnlichen Berg- und Unternehmerlaufbahn.
Markus Walter ist ganz oben. Dorthin kommen nur die, die wirklich was wollen, sagt er. Seine Tür steht offen, aber man muss Treppen steigen und den Kopf einziehen. Das Büro ist direkt unterm Dach des sanierten Altbaus in Dresden-Leuben – eine Etage über der Afrika-Abteilung und zwei über den Expeditionsleuten. Hier auf der Berthold-Haupt-Straße, fernab vom Stadtzentrum, aber dafür näher an der Sächsischen Schweiz, hat hinter rot gestrichenen Fassaden der Reiseveranstalter Diamir seinen Sitz. Für Markus Walter ist die Nähe zum Elbsandstein von Vorteil – wenn er denn mal zum Klettern kommt. Gemeinsam mit zwei Partnern lenkt er die Geschicke des Unternehmens. Die Dresdner sind mit ihren Erlebnis- und Trekkingreisen eine Hausnummer geworden, an der man nicht so schnell vorbeikommt. Rund 100 Mitarbeiter, 22 Millionen Euro Jahresumsatz. Diamir organisiert Reisen in 120 Länder der Erde. Bergexpeditionen in Nepal. Insel-Hopping in der Südsee. Wandern in Patagonien. Eisbrecherfahrten zum Nordpol. Erlebnis eben.
Walter ist ein umgänglicher Typ – 42 Jahre alt, kurze blonde Haare, gewinnendes Lächeln – Outdoor-Pullover. Vom Stil mehr Bergsteiger als Unternehmer, sein Büro hat gewisse Ähnlichkeiten mit einem provisorischen Basislager. Die Abgeschiedenheit im eigenen Haus und die Ruhe zum Nachdenken hat er mit Tageslicht bezahlt: Sein Reich ist kaum größer als eine Besenkammer, ein kleines Dachfenster lässt von draußen nur wenig Helligkeit in die Stubendämmerung. Auf dem Schreibtisch liegt die Mitgliederzeitschrift des Deutschen Alpenvereins. An der Wand hinter seinem Rücken hat er sich mit Bildern aus aller Welt ein bisschen Weite in den Raum hineindekoriert. Karten. Berge. Sehnsuchtsorte. So sieht sie aus, die Führungsetage einer Firma, deren Geschäftsmodell die Verwirklichung von großen Träumen ist.
Gefährlicher Pate: der Nanga Parbat
Dieser Ehrgeiz steckt schon im Namen: Diamir, besser bekannt als Nanga Parbat – so heißt der mit 8125 Metern neunthöchste Berg der Erde. Wörtlich übersetzt bedeutet Diamir „König der Berge“. „Vielleicht klingt das ein bisschen unbescheiden“, sagt Markus Walter. Doch der gefürchtete Eisriese im pakistanischen Himalaya symbolisiert in besonderer Weise den Reiz und das Risiko großer Herausforderungen. Markus Walter hat den Ernst eines solchen Ziels am eigenen Leib erfahren. 2004 steht er auf dem Gipfel des Nanga Parbat. Es ist die Krönung seiner Bergsteigerlaufbahn nach zahlreichen Expeditionen in Schnee und Eis, darunter zu vier anderen Achttausendern. Aber die Freude über den Erfolg währt nicht lange. Beim Abstieg wendet ihm der Berg sein grimmiges Gesicht zu. Einer seiner Expeditionspartner verliert auf einem Steilhang den Halt und stürzt in den Tod. Bei der Suche nach dem Gefährten verunglückt auch Markus Walter um ein Haar. Der Nanga Parbat ist keine Bergtour, sondern eine Lebensentscheidung. Er ist einzigartig, mächtig und gefährlich. „Er spielt eine Rolle“, wie der Dresdner es ausdrückt.
An solche Berge würde der Unternehmer seine Kunden niemals führen. Das Risiko hält er für unbeherrschbar. „An einem Achttausender brauche ich alle Kraft für mich selbst“, sagt er. Man kann mit Diamir auf einen Siebentausender steigen, doch das Unternehmen bietet solche Touren nur für fitte Leute mit reichlich Bergerfahrung an. Auch die kühnsten Träume und Vorhaben beginnen jedoch mit einem kleinen ersten Schritt. Für die Kunden von Diamir vielleicht mit einem Eiskurs in den Alpen. Und für das Unternehmen selbst – „da, wo alle Firmen anfangen, die etwas werden wollen“, sagt Markus Walter. Im Hinterhof.
Diamir startet als Garagenfirma
Am Stadtrand von Dresden, in Kleinzschachwitz, richten Markus Walter, sein Bergfreund Jörg Ehrlich und zwei weitere Partner im Jahr 2000 in einer Doppelgarage ihr erstes Reisebüro ein. Drei Schreibtische, drei alte Computer, ein ramponiertes Sofa, das ist die ganze Ausstattung. Das Internet steckt noch in den Kinderschuhen, Dienste wie Facebook sind noch nicht erfunden – wer sich einen Namen machen will, muss Klinken putzen gehen. Die ersten Reisekataloge trägt Walter noch mit dem Fahrrad aus, um das Porto zu sparen. Am Anfang wird jeder verdiente Euro gleich wieder ins Geschäft gesteckt. Zwei Jahre arbeiten die Gründer praktisch zum Nulltarif. Jede Buchung ist reine Nervensache, geht sie schief, kann es den Ruin bedeuten. Doch in mancher Hinsicht ist diese Zeit wohl die spannendste und beste, die ein neu gegründetes Unternehmen erlebt – voller Hoffnungen, Richtungsentscheidungen, Überraschungen und Rückschläge. Viele Garagenfirmen sind schon nach wenigen Monaten wieder pleite. Aber aus einigen werden große Unternehmen. Auch Bill Gates und Steve Jobs haben so angefangen.
Zunächst sehen die Gründer ihre Chance eher skeptisch. Als Bergsteiger und Reisenarren vermuten Markus Walter und seine Mitstreiter in dem Geschäft vor allem einen Weg, das Angenehme mit dem Nützlichen zu verbinden. Doch schon bald tun sich ganz andere Möglichkeiten auf. Es erweist sich, dass die Jungunternehmer für ihre Nische die richtigen Lebensläufe und Erfahrungen mitbringen. So ist ihnen klar, dass sich Träume und Abenteuer allein über Katalogseiten nur schlecht verkaufen. Von Beginn an baut Diamir deshalb auch eine Kulturschiene auf. Anfangs halten Markus Walter und Jörg Ehrlich Vorträge über ihre eigenen Reisen und Abenteuer. Doch schon ab 2002 organisiert das Unternehmen jährlich ein regionales Fernwehfest mit dutzenden, inzwischen weit über hundert Reisevorträgen und Ausstellern aus aller Welt – die Globetrottertage. Nach vielen Jahren auf der Festung Königstein findet das Event mittlerweile regelmäßig in den Deutschen Werkstätten Hellerau statt. Dieses Wochenende zum 13. Mal.
Der Weg nach oben wird kein Spaziergang. Die Fernreisebranche ist ein hart umkämpfter Markt, die Anbieter wetteifern in den jeweiligen Ländern nicht nur um Kunden, sondern auch um fähige Leute und Partner und die besten Tourenführer. Hinzu kommen Wechselkursschwankungen, die teils mangelhafte Infrastruktur und politische Unruhen. Ein schwieriges Geschäftsumfeld. Schon kurz nach der Gründung erleben die Sachsen ihren ersten herben Rückschlag. Und der hat weltpolitische Ursachen. Nach den Terroranschlägen des 11. September 2001 hat die Reisebranche mit drastischen Umsatzeinbußen zu kämpfen, der gesamte Markt gerät vorübergehend in die Schieflage. Für das junge Dresdner Unternehmen gilt es, diese Feuertaufe um jeden Preis zu bestehen.
Das schwierigste Jahr seit der Gründung
14 Jahre danach hat Diamir u.a. einen Tsunami in Ostasien überlebt, einen Reaktor-Unfall in Japan, den Arabischen Frühling, eine Vogelgrippe-Epidemie, SARS, Ebola … Eigentlich passiert in der Welt andauernd etwas, das den Tourismus und die Reiseanbieter beeinträchtigt. Die Dresdner sind inzwischen breit genug aufgestellt, um solche Krisen wegzupuffern, doch den Umsatz schmälern sie trotzdem. Auch 2015 steht unter keinem guten Stern. Gravierende Kursverluste beim Euro! Und in Nepal – einem der wichtigsten Reisemärkte des Unternehmens – richtet im Frühjahr ein schweres Erdbeben verheerende Schäden an. Diamir muss Reisen rückabwickeln, Kunden heimholen, Umbuchungen und Stornierungen verkraften. Vorübergehend kommt der Tourismus in Nepal zum Stillstand. Markus Walter spricht vom „schwierigsten Jahr seit der Gründung“.
Was für das Unternehmen noch „Schwierigkeiten“ sind, ist für die nepalesischen Partner und Guides von Diamir schlicht existenzbedrohlich. „Ein guter Guide führt in einer Saison normalerweise bis zu vier Touren“, sagt Markus Walter: „Aber in diesem Jahr können viele nur eine Tour machen.“ Diamir lässt seine Leute vor Ort nicht hängen, leistet finanzielle und materielle Unterstützung, stellt unter anderem Bekleidung, Ausrüstung und Lebensmittel aus seinem Expeditionsdepot bereit. Außerdem unterstützen die Dresdner eine Hilfsaktion des Alpinclubs Sachsen für ein Bergdorf nördlich von Kathmandu. Doch die Nöte vor Ort sind selbst für internationale Hilfsorganisationen eine Herausforderung. Laut eigenen Aussagen bezahlt Diamir seine Leute nach landesüblichen Maßstäben sehr gut, aber eine verlorene Saison können die Dresdner ihren Partnern nicht ersetzen. Die Situation ist paradox. Was dem Land am Himalaya jetzt wirtschaftlich wieder auf die Beine helfen könnte, wären Touristen – aber gerade die bleiben aus. Dabei haben der Mythos Nepal und die Schönheit der Landschaft bei dem Erdbeben kaum gelitten. In Kathmandu sind einige Tempelanlagen und Hotels zerstört, aber große Teile der touristischen Infrastruktur funktionieren inzwischen wieder, sagt Markus Walter. „Und die Berge sind ja nicht umgefallen.“ Wer davon leben muss, wird es 2015 nicht leicht haben, seine Familie über den Winter zu bringen. Viele Männer sind gezwungen, sich nach anderen Einkommensmöglichkeiten umzuschauen, verdingen sich in der Golfregion und sind damit für die Reiseanbieter auch in der nächsten Saison nicht mehr greifbar. Auf diese Weise habe er einen seiner besten Trekkingköche verloren, sagt Walter. Diamirs umsatzstärkster Markt ist in wenigen Monaten von 25 Prozent im Plus rund 30 Prozent ins Minus gekippt. Auch das sind Nachbeben.
Zurück zu den Wurzeln
Markus Walter ist von Natur aus Optimist. Die Faszination Nepal wird wiederkommen, glaubt er. „In unserer synthetischen Welt gibt es diese starke Sehnsucht nach ehrlichen, unverfälschten Erlebnissen.“ Diamir spürt das überall. Einstmals kaum erreichbare Ecken auf dem Globus sind touristisch gerade schwer im Kommen: Länder wie Tadschikistan, Kuba oder Iran. Gute Wachstumsmärkte für die Reisebranche – auch für Diamir.
In Markus Walters Basislager unterm Dach klingelt das Telefon. Vor 15 Jahren kannte der Dresdner noch jeden seiner Kunden mit Namen. Heute schickt Diamir pro Jahr an die 10.000 Reisehungrige über den Globus. Nächste Woche startet eine Diamir-Expedition zum 7246 Meter hohen Putha Hiunchuli, dem westlichsten Gipfel der Dhaulagiri-Gruppe. Die führt der Chef noch selbst. Für Markus Walter ist es eine Reise zu den Wurzeln des Unternehmens, zurück zu Eis und Schnee. Dort im Himalaya schließt sich ein Kreis, und das Nützliche findet wieder zum Angenehmen zurück. In solchen Momenten bricht der Bergsteiger in ihm auf. Der Unternehmer hingegen wird heute Abend noch spät in der Nacht am Schreibtisch sitzen, E-Mails beantworten und über einem Vortrag für die Globetrottertage brüten.
GLOBETROTTERTAGE – Dresdens großes Reisefest | 3./4. Oktober
Mit einem Programm von mehr als 120 Vorträgen und Ausstellern aus aller Welt sind die Globetrottertage Dresdens großes Reisefest für alle Abenteurer und Fernsüchtigen.
„In zwei Tagen um die Welt“ lautet das Motto – am 3. und 4. Oktober auf dem Gelände der Deutschen Werkstätten Hellerau, Beginn jeweils 10 Uhr, eine Tageskarte kostet 10,- ein Wochenendticket 14,- Euro.
Alle Infos >>> www.globetrottertage.de
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