Was passiert, wenn man Breakdancer aufs Elbsandsteingebirge loslässt? Web-Künstler Sebastian Linda hat es ausprobiert. Heraus kam ein Vier-Minuten-Clip, der nicht nur bei den Bergsichten für Aufsehen sorgen dürfte. Der Sandsteinblogger hat den Social-Media-Star besucht – ganz real 1.0.
Eine Maisonette-Wohnung in der Dresdner Neustadt. Unten, vor einer fast kinogroßen Beamer-Leinwand nebst Computer-Schnittplatz, ist die Arbeit. Oben im Licht der Dachterrasse ist Platz zum Leben. Aber so sieht Sebastian Linda sein Umfeld nicht. Für ihn geht das eine fast nahtlos ins andere über – getrennt lediglich von ein paar Treppenstufen. Und manchmal sind die Übergänge so fließend und unmerklich, dass Linda vielleicht selbst nicht weiß, ob er gerade richtig Gas gibt oder den Augenblick genießt. Diesen Eindruck bekommt man jedenfalls, wenn man sich eine Weile mit dem Social-Media-Star unterhält.
Sebastian Linda hat es geschafft – mit Anfang 30 ist er schon ganz oben angekommen. Mehr als 9.000 virtuelle Freunde folgen dem Video-Künstler bei Facebook, fast 3.000 haben seinen YouTube-Kanal abonniert, einer seiner jüngsten Clips wurde in wenigen Wochen fast 60.000 Mal angeklickt. Linda bekommt E-Mails von Fans aus der ganzen Welt und Werbeaufträge von Konzernen wie Red Bull oder Pepsi. Der Mann, den ich Donnerstagvormittag in einem Neustädter Treppenhaus am Fahrstuhl treffe, sieht jedoch kein bisschen abgehoben aus. Ein aufgeschlossener, lebhafter Typ mit violettem Basecap und Brille – junges Gesicht, trotz Vollbart. Unterm Arm klemmt ein Skateboard.
Poesie in Slow-Motion
Bretter, die die Welt bedeuten – zumindest für Sebastian Linda. Er sei nicht „der krasseste Skater aller Zeiten“, aber ziemlich fit, sagt er. Das fing schon im Alter von zwölf Jahren an. Seitdem steht Linda auf dem Board und beinahe genauso lange filmt er sich und andere dabei. Bis irgendwann mehr aus dem Hobby wird. Der Lausbube, der dem Vater die Videokamera stibitzt, lernt schnell, andere mit seinen Filmen zu begeistern. Er feilt an seiner Technik und Ausrüstung, gewinnt Anerkennung, Fans – später auch Lorbeeren. 2014 wird Sebastian Linda mit dem Deutschen Webvideopreis ausgezeichnet. Da sind längst große Unternehmen auf ihn aufmerksam geworden, und aus dem Video-Freak ist jemand geworden, der mit seinem Talent gutes Geld verdient – obwohl Geld, wie er sagt, nicht sein Antrieb ist. Linda will Geschichten erzählen. Geschichten sieht er überall. Dafür muss er im Grunde nur mit offenen Augen durch den Tag gehen – und im richtigen Moment die Kamera laufen lassen.
So funktioniert Film natürlich nicht. Oder doch? Jedenfalls ist es diese scheinbar vorsatzlose Leichtigkeit, die an seinen Filmen Spaß macht. Der Mann kann vergnügt wie ein großer Junge durch die Stadt skaten und sich hinterher geduldig an seinen Rechner setzen und aus solchen Erlebnissen die Essenz an Bewegung und Emotion herausfiletieren, bis ein schlüssiges und feinfühliges Film-Portrait entsteht. Über Skateboarding. Über Augenblicke, die den „Flow“ ins Leben bringen. Linda pfeift auf die Konventionen seines Metiers. Da, wo man harte und schnelle Cuts erwarten würde, lässt er die Poesie von Slow-Motion sprechen – oder eine Geschichte da, wo sie sich stringent vorwärts entwickelt sollte, einfach rückwärts laufen. Vielleicht ist es diese Unberechenbarkeit, die seinen Stil und Erfolg ausmacht. Nur würde er wahrscheinlich auch dieser Art der Etikettierung widersprechen. Für ihn sei kein Film wie der andere, sagt Sebastian Linda. Wiederholungen hält er für ein kreatives Armutszeugnis.
„Klettern macht glücklich“
Wir sitzen über den Dächern der Stadt, lassen uns die blasse Novembersonne auf die Köpfe scheinen und reden über Neuanfänge, über sein jüngstes Projekt – und die Sächsische Schweiz. Vor anderthalb Jahren hat Sebastian Linda etwas begonnen, das im Grunde seiner Natur widerspricht. Er fing an zu klettern – erst in der Halle, dann draußen am Fels. Als Skater fühlt sich Linda zu ebener Erde am wohlsten. Oder im Wasser. „Höhe ist nicht mein Element.“ Trotzdem überwindet er die Angst und hängt sich in die Wand. Denn beim Klettern findet er etwas, das ihm gefällt: den Wechsel und die Verbindung von sportlicher Anstrengung und entspannter Präsenz. Er hat ein neues Credo: „Klettern macht glücklich.“
Und noch etwas ändert sich: Nach seinem letzten Skateboard-Film in Indonesien 2014 hat Sebastian Linda erstmal das Gefühl, über Skaten „alles gesagt zu haben, was zu sagen war.“ Im Frühjahr 2015 entdeckt er eine neue kreative Spielwiese: Breakdance. „Das ist eine supercoole Szene. Diese Jungs leben 100prozentig, jeden Moment – das versuche ich auch.“ Es gibt wohl noch einen anderen Grund. Dem digitalen Nomaden missfällt, was seine Wahlheimat Dresden in der Flüchtlingskrise für Schlagzeilen macht. Er will andere, positive Emotionen dagegen setzen. Und zeigen, was für ein „geiles Lebensgefühl“ in dieser Stadt wohnt. Für sein nächstes Filmprojekt holt er sich die Profis der Szene ins Boot: „The Saxonz“, eine Breakdance-Gruppe aus Dresden, 2014 Deutscher Meister. „Dance where you live“ lautet der Arbeitstitel. Es wird ein Projekt, das den Zuschauer in vier temporeichen Minuten quer durch den Freistaat Sachsen führt – bis am Ende alles in einem magischen Finale in der Sächsischen Schweiz „gipfelt“. Dafür heben die Sachsen-Breaker wirklich und buchstäblich ab – sonst würde der Clip wohl auch kaum zum Bergsichten-Festival in Dresden Premiere feiern. Mehr wird noch nicht verraten. „Das Elbsandsteingebirge ist ein Riesen-Geschenk“, findet Linda. „Ich bin bestimmt 100 Mal dort gewesen, und jeder Tag sieht anders aus.“
Nach einer Stunde kehrt der selbsterklärte Life-oholic schließlich vom Sonnenschein auf der Dachterrasse wieder zurück zu seiner Arbeitsebene und ins Netz. Im Schnitt produziert Sebastian Linda alle drei Monate einen neuen Film. Aber bis dahin muss er Partner und Gelder akquirieren, Ideen entwickeln und seine Fangemeinde bei Laune halten. Trotzdem fühlt er sich frei. Inzwischen ist er frei genug, um zwischendurch mal alle Aufträge abzulehnen und in irgendeinen exotischen Winkel der Welt zu verduften. Sri Lanka zum Beispiel. Anstrengung und entspannte Präsenz – alles hat seine Zeit. Für Sebastian Linda ist das Leben wie Klettern. Oder wie ein Tanz. Und er findet, wir alle sollten es dazu machen.
12. Bergsichten-Festival
„Dance where you live“ von Sebastian Linda und The Saxonz läuft beim Bergsichten-Festival in Dresden im Filmblock Sandsteinabenteuer, Sonnabend, 14. November, 17.30 Uhr im Luis-Trenker-Saal des TU-Hörsaalzentrums. Zusatzveranstaltung: Donnerstag, 12. November, 19.30 Uhr, Falkensteinsaal.
Nach der Festivals-Premiere könnt ihr euch den Film ab 16. November auch online anschauen auf >>> http://sebastian-linda.de/
Weitere Highlights:
- Hans Kammerlander live: „Die Matterhörner der Welt“, Multivisionsshow zum Festivalsauftakt, eine Reise zu den Schönsten der Schönen – 13. November, 19.30 Uhr | Zusatzvortrag: 12. November, 20.00 Uhr
- Thomas Senf: „Berge im Fokus“, ein fotografischer und filmischer Blick hinter die Kulissen des Profibergsteigens – 14. November, 20.30 Uhr
- Simone Moro: „Exploration“ und „I-View“, Live-Vortrag mit Film, der den italienischen Ausnahmealpinisten im Himalaya und als begeisterten Hubschrauberpiloten zeigt. Moro wurde durch seine extremen Winterbesteigungen von 8000ern bekannt – 15. November, 20.30 Uhr
- Peter Brunnert: „Fisch sucht Fels“, irre Klettergeschichten zwischen Ostsee und Aconcagua, die garantiert die Lachmuskeln strapazieren – 14. November, 12.30 Uhr | 15. November, 15.00 Uhr
- Matthias Mayr und Matthias Haunholder: „Überlebt – The Lost Island“, Live-Vortrag mit Film über ein extremes Skiabenteuer am pazifischen Feuerring – 15. November, 15.00 Uhr
Das komplette Programm des 12. Bergsichten-Festivals: www.bergsichten.de/programm
Kommentar hinterlassen