Die Seifen-Oper

Gerangel am Einstieg der Seife
Der Turmbau an der Seife kann beginnen. Die Bauleute ganz unten müssen nur eines: standhaft bleiben! Mittendrin: BIWAK-Moderator Thorsten Kutschke. Hoffentlich hat der Mann über ihm nicht allzu schwer gefrühstückt. (Foto: Hartmut Landgraf)

Im Kleinen Zschand gibt es einen versteckten Gipfel, der so unansehnlich und mickrig ist, dass er im Kletterführer nur kleingedruckt erscheint und ehrbare Bergsteiger am liebsten gar nicht hinaufsteigen – oder bloß dann, wenn gerade niemand hinsieht. Aber manchmal ist eben alles anders.

Kletterfelsen Seife im Kleinen Zschand
Ein Feuchtbiotop in Felsgestalt – die „Seife“ im Kleinen Zschand. (Foto: Hartmut Landgraf)

Die „Seife“ ist einer der wunderlichsten Felsen im Elbsandsteingebirge. Halb Stein, halb Sumpfgewächs – und doch ein eingetragener Klettergipfel. Wer dieses Wunder der Botanik mit eigenen Augen sehen will, muss im Bückbereich der Sächsischen Schweiz nach ihm suchen: im Kleinen Zschand – da, wo es besonders dunkel und klamm ist. Im tiefsten Quenengrund versteckt sich die Quacke unter mächtigen Fichten vor der Sonne und vegetiert in ihrem hochgeschlossenen Moosmantel vor sich hin. In Kletterkreisen heißt es, dieser Felsen sei selbst dann noch feucht, wenn die Elbschifffahrt wegen Trockenheit längst eingestellt ist. Ehrbare Bergsteiger machen meistens einen weiten Bogen um den giftgrünen Gnom. Und selbst notorische Gipfelsammler würden am liebsten nur dann hinaufsteigen, wenn gerade niemand zuschaut. Um es kurz zu machen: Die Seife ist einfach nur scheiße schön! Findet einer, den in Kletterkreisen viele als schrägen Vogel kennen: Jörg Brutscher, promovierter Physiker und Familienvater – im Grunde ein vernünftiger Mann.

Jörg Brutscher im Interview
Strategiegespräch: Thorsten Kutschke lässt sich von Jörg Brutscher den Schlachtplan der Kletteraktion erklären. (Foto: Hartmut Landgraf)

Im Sandstein aber hat Brutscher den Ruf, besonderen Gefallen am Hässlichen zu finden – ein Mann mit fast schon legendärem Faible für DDR-Sporttextilien, Schinderrisse und alle Arten von sandigen, grünen oder anderweitig abwegigen Routen. Wie jemand, der sich in Paris, anstatt den Louvre zu besuchen, an den schönsten Dixi-Klos der Stadt ergötzt – so hat es ein allseits bekannter niedersächsischer Klettersatiriker mal formuliert. Auch wenn sich Brutscher natürlich nicht nur zu den Missgestalten der Felsenwelt hingezogen fühlt – er hat alle Gipfel der Sächsischen Schweiz bestiegen und noch einige mehr – das Bild ist stimmig. „Ästheten sind mir ein Gräuel“, sagt er über sich selbst. „Ich bewege mich vorsätzlich abseits des Mainstreams, alles andere finde ich langweilig.“ Der 52-jährige Wahlsachse gehört zu den wenigen Bergsteigern, die sich voller Hingabe an der berüchtigten „Kotzbrockenliste“ der fürchterlichsten Elbsandstein-Routen abarbeiten. Brutscher sammelt Wege, die als besonders anstrengend gelten – oder besonders „unfallträchtig“. Und irgendwann – das ist eine fast sichere Wahrscheinlichkeit – trifft man ihn auch an der Seife.

Vor lauter Schleim nicht hochgekommen

Darauf kann BIWAK-Moderator Thorsten Kutschke freilich nicht warten. Mitte Februar startet die neue Staffel der MDR-Bergsportsendung, und die Fernsehleute haben noch längst nicht alles, was geplant war, im Kasten. Einige Themen sind witterungsbedingt oder aus anderen Gründen ins Wasser gefallen. Der Elbsandstein-Winter benimmt sich seit Tagen wie ein hinfälliger Greis, der vor Schwäche ins eigene Bett nässt. Auf allen Wegen tropft und rutscht es. Ausgerechnet die Seife gilt nun als letzte sichere Bank. Und Jörg Brutscher ist der Protagonist des Abenteuers. Wie dieses sich entwickeln wird, dafür hat Kutschke im Grunde nur einen äußerst rudimentären Plan: Er stapft im Quenengrund durch den verharrschten Schnee, teilt seine Drehmannschaft ein – und weiß noch nicht, mit welchen Bildern er am Abend nach Hause gehen wird. Die besten, das sagt die Erfahrung, kommen sowieso eher spontan. So ist das bei BIWAK. „Wir arbeiten wie die Jäger und Sammler“, erklärt der Moderator.

Männer bilden einen Kreis
Im Freundeskreis… Links: Chef-Baumeister Jörg Brutscher. (Foto: Reinhard Wobst)

An der Seife ist diese Herangehensweise vielleicht die einzig mögliche. Egal, was die Schöngeister in der sächsischen Bergsteigerszene davon halten: hinauf gelangt man nicht nach einer wohlüberlegten Kletterdramaturgie, sondern nach dem Prinzip Versuch und Irrtum – am besten mit dem Einsatz des ganzen Körpers, auch solcher Extremitäten, denen beim Bergsteigen üblicherweise keine besondere Bedeutung zukommt. Am besten geht es, wenn man den glitschigen Felsen gar nicht erst berühren muss. Jörg Brutscher hatte schon mal an der Seife einen „Sack aufgehängt“ – so heißt in Sachsen der mehr oder weniger geordnete Rückzug aus einer Route, an der man gescheitert ist. „Ich bin da vor lauter Schleim nicht hochgekommen“, erinnert sich Brutscher. „Oben am Ausstieg war ein Büschel Moos der einzige Griff.“ Der Physiker will es diesmal mit einer anderen Methode versuchen. Von der gegenüberliegenden Seite des Felsens. Im Winter. Und mit mehr Leuten. „Eine einfache Stapelaufgabe“, sagt er. „Vier Etagen.“

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Wenn Brutscher so etwas sagt, werden nicht nur Fernsehleute munter, sondern auch ein paar in der Szene als notorisch verrückt bekannte Klettersachsen. Sich beim Klettern an unüberwindlichen Stellen gegenseitig auf die Schultern zu steigen und die Schwierigkeit mithilfe einer sogenannten Baustelle zu überwinden, gehört zu den für Außenstehende gewöhnungsbedürftigen Eigenarten der sächsischen Kletterkunst. An der Seife beginnt der Turmbau gleich ganz unten auf dem Waldboden. In der Theorie funktioniert das so: Unten steht ein breiter Ring von Leuten. Auf deren Schultern ein kleinerer, damit sich das Gewicht gut verteilt. Dann verjüngt sich das Gebilde von Etage zu Etage immer mehr, bis der oberste Mann fast schon mit der ausgestreckten Hand den Gipfel erreicht – zumindest aber ein klettertechnisch bedeutsames Fichtenbäumchen. Womöglich spielt auch der Topf Glühwein, der unterm Einstieg leise vor sich hin dampft, irgendeine strategische Rolle. Baustellen gelten in Sachsen insgeheim als irrer Winter-Gaudi. Die Saison im Elbsandstein ist vorbei, die Felsen sind vereist oder nass. Die Bergsteigerzunft hat sich in die Kletterhallen zurückgezogen oder treibt sich anderswo in der Weltgeschichte herum. Viele gehen einfach wandern oder Ski fahren. Aber manch einer hält den Entzug doch nicht bis zum Frühling aus. Mehr als ein Dutzend Bergsteiger sind gekommen, um sich Jörg Brutscher als „Material“ anzubieten. Der Baumeister ist zuversichtlich. Die Aktion könnte gelingen.

Der Vorsteiger übt am Nachbarfels
Die Generalprobe für Vorsteiger Stefan Findeisen. Im Hintergrund – die Seife. (Foto: Hartmut Landgraf)
Glühweinkochen
Auch bei frostigen Temperaturen sollte man ausreichend trinken… (Foto: Hartmut Landgraf)
Baumklettern
Diese Variante steht noch nicht im Kletterführer! (Foto: Hartmut Landgraf)
Erster Versuch an der Seife
Der erste Versuch… (Foto: Hartmut Landgraf)

Schon das Hinsehen schmerzt

Das ist nicht immer der Fall. Etwa 2008 am „Waldgeist“, einer ähnlich unbedeutenden Quacke im Großen Zschand. Brutscher kann den Felsen auch mit 70 Bauleuten nicht bezwingen. Er hat es in den Jahren davor schon mehrmals vergeblich versucht – und am Ende des Tages ist ihm die Lust an dem Projekt endgültig vergangen. Ein ums andere Mal muss er zuschauen, wie der mühsam aufgeschichtete Menschenturm zusammenbricht. Dazu gehört nicht viel. Es reicht, wenn einer der Kletterer ein bisschen aus dem Gleichgewicht kommt, wenn der Druck von oben den unteren Kreis auseinander treibt oder jemand den Schmerz auf den Schultern nicht mehr aushält. „Abbauen“ lautet dann das Kommando zum geordneten Rückzug. Doch das gelingt meist nicht mehr. Baumänner und -frauen plumpsen wie schwere Säcke auf die unteren Etagen herab und verschwinden in einem wüsten, stöhnenden Pulk aus Leibern, Armen und Beinen. Schon das Hinsehen schmerzt.

Falls Thorsten Kutschke an der Seife auf solche Bilder hofft, dann lässt er es sich zumindest nicht anmerken. Der BIWAK-Moderator will beim Turmbau im Kleinen Zschand sogar selbst Hand anlegen. Minuten später steht er tatsächlich mitten im Epizentrum der bebenden Bergsteigerpyramide, kriegt Fußtritte ins Genick, riskiert seine Rippen – aber hat ganz offensichtlich seinen Spaß in der ungewohnten Statisten-Rolle, über die Jörg Brutscher nur wenige Worte verliert: „Ganz unten muss man nicht viel können. Nur stehen bleiben und das Maul halten.“

Das Drama im Schnittstudio: Phase eins...
Das Drama im Schnittstudio: Phase eins…
Phase zwei...
Phase zwei…
Phase drei.... (Fotos: Hartmut Landgraf)
Phase drei…. (Fotos: Hartmut Landgraf)

Eine Woche später sitzt Kutschke – anscheinend schmerzfrei – auf einem Bürostuhl im Dresdner Landesfunkhaus und sichtet den Rohstoff der Seifen-Oper. Wie sie in der BIWAK-Sendung ausgeht, wird sich erst in einigen Tagen entscheiden. Noch haben Kutschke und sein Cutter Christoph Simon nichts als einen monumentalen Filmsalat vor sich. Menschengerangel. Seilfitz. Glühweinkessel. Bergsteiger. Bergretter. Schneemänner. Oder, wie der Moderator sagt, „fünf Stunden geballten Blödsinn“. Aus so einem Stoff lassen sich alle möglichen Geschichten machen – oder auch gar keine. Kutschke kaut angestrengt auf seinem Kugelschreiber herum und blickt unentschlossen von einem Bildschirm zum anderen. Das wird eine lange Nacht! Auf einem der Monitore ist ein Mann zu sehen – ein hochgewachsener Mitfünfziger mit langen Armen und breitgelatschten Schultern. Ohne die Expressschlingen und Karabiner am Gurt könnte man ihn leicht für einen Donkosaken oder sibirischen Trapper halten. Eisgrauer Schnauzbart. Bärenfellmütze. Einen Becher mit einer ganz offensichtlich stimmungsaufhellenden Substanz in der Hand und ein zufriedenes Grinsen im Gesicht – Jörg Brutscher. Zumindest irgendwas scheint bei seiner Baustellen-Aktion an der Seife gut gegangen zu sein. Man darf gespannt sein.

Programmtipp:

BIWAK – Winterabenteuer im Elbsandstein

17. Februar, 21.15 Uhr im MDR-Fernsehen

Mehr Infos beim MDR oder auf der BIWAK-Fanpage bei Facebook.

3 Kommentare zu Die Seifen-Oper

  1. Aber man sieht auf dem Bild, dass wir eigentlich schon beim 1. Durchgang zu weit weg von der Wand stehen. Beim 2. war es noch ungünstiger, eine dumme Ausgleichsbewegung und die Hexe hat geschossen…

  2. Da wäre ich auch gern dabei gewesen!
    Wenn man meinen Vorsteigern glauben darf, bin ich auch ein guter, standfester Baumann und sowieso ein „kleiner Chaot“, der gern mal nicht alltägliche Sachen unternimmt, die bei anderen nur Kopfschütteln auslösen. 😎
    Wo bekommt man also die Veranstaltungstipps zu solch Ereignis her???

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