Gisbert Ludewig (85) zieht seit 70 Jahren mit Rucksack und Seil durch seine sächsische Felsenheimat. Ein kurzes Gespräch über die unbändige Lust auf Sandstein – und das Glück, auch im hohen Alter noch klettern zu gehen.
Die Hände sind ungewöhnlich glatt und kräftig – für einen 85-Jährigen. Aus den Augen strahlt unbändige Lebensfreude. Und manchmal blitzt darin eine fast spitzbübische Fröhlichkeit, wenn man ihn nach seinen liebsten Klettererlebnissen fragt. „Schreib das bloß nicht alles auf“, sagt er dann vielleicht. Seit 70 Jahren ist Gisbert Ludewig mit Rucksack und Seil in seiner sächsischen Felsenheimat unterwegs. Um die 1000 Routen hat der Pirnaer im Elbsandsteingebirge erstbegangen. Als Seilgefährte von Bernd Arnold war er in den 70er- und 80er-Jahren an Erstbegehungen im zehnten Grad beteiligt. Und noch heute vergeht kaum eine Woche, in der er nicht irgendwo auf einen Gipfel steigt. Ein kurzes Gespräch mit einem Kletterpionier, der mit seinen 1.70 Metern zu den ganz großen Figuren im sächsischen Sandstein zählt – und so etwas gar nicht gerne hört…
Gisbert, kannst du dich noch an dein erstes Seil erinnern?
Ja, das war sogar ein richtig gutes italienisches Langhanfseil – 30 Meter lang, 18 Millimeter stark. Sowas hatte damals keiner. Die Seile sind normalerweise schon gerissen, wenn man nur einen dünnen Baum damit umziehen wollte. Meins konnte schon einen Sturz abhalten. Aber eigentlich war es gar nicht meins – das Seil gehörte meinem Freund Horst Frint. Der hatte es nur bei mir deponiert, weil seine Mutter ihm das Klettern verbot und weil es auffiel, wenn er mit aufgebauschtem Rucksack aus dem Haus ging. Aber ich durfte damit machen, was ich wollte und hab es auch an andere verborgt. Hans Peuker zum Beispiel hat seine schwersten Wege mit diesem Seil geklettert. Ansonsten hatten wir nicht viel Ausrüstung damals. Meist sind wir barfuß geklettert.
Wie kamst du zum Klettern, was hat dich daran gereizt?
Ein paar meiner Schulfreunde in Pirna gingen klettern, und weil ich selbst gut im Sport war, wollte ich ihnen in nichts nachstehen. Ein gewisser Ehrgeiz war schon dabei, aber es gab keinen richtigen Konkurrenzkampf zwischen uns. Wir sind als Jungs viel in der Elbleite rumgekraxelt, am Elefant und am Winnetou…
Hattest du keine Angst?
Doch – Angst ist etwas sehr Nützliches. Ohne Angst kannst du nicht klettern. Oder du überlebst es nicht.
Bei dir wurde später mehr daraus. Kaum einer hat in seinem Leben so viel Sandstein angefasst wie du… Im Elbsandsteingebirge werden dir 1000 Erstbegehungen zugeschrieben.
Ich hab das nie gezählt. Ich bin ein ganz normaler Kletterer. Sicher, es waren schon ein paar schwere Dinger dabei. Die mit Bernd Arnold sind für mich immer noch die eindrucksvollsten. Aber es gibt andere, die sehr viel mehr erzählen können als ich – die solltest du mal fragen.
Was gefällt dir am Sandstein?
Seine besondere Beschaffenheit, dass er so rau ist. Ein Gestein, das viel Balance und Beinarbeit erfordert und deshalb zu einem ganz anderen Kletterstil führt als Kalk oder Granit, wo es um Kraft und Athletik geht.
Manche Ludewig-Routen sind unter Kletterern berüchtigt wegen ihrer schlechten Absicherung.
Ich hätte mir im Nachhinein in einigen Wegen selbst ein paar zusätzliche Sicherungsringe gewünscht, aber damit kam ich in den entsprechenden Gremien nie durch. Klettern ist ja nicht dazu da, um sich selbst in Gefahr zu bringen. Eigentlich ist es ein gesundheitsfördernder Sport.
Das scheint bei dir tatsächlich so zu sein. Du bis 85, wirst bald 86, und hängst immer noch in den Wänden. Was ist dein Geheimnis? Du hast nie geraucht….
(Lacht). Doch. Und sogar ziemlich stark – 15 Jahre lang. Aber dann hab ich schlagartig damit aufgehört, weil sich das beim Klettern bemerkbar gemacht hat. Ich konnte nicht mehr so wie ich wollte. Das lag vielleicht auch am Tabak damals. Der war wirklich giftig…
Aber du bist noch immer fit.
Ich hab dafür nichts Besonderes getan. Ich glaub, ich hatte einfach Glück.
Fragst du dich manchmal, wie lange das noch so weitergeht mit dem Klettern?
Irgendwann ist Schluss, das sehe ich ein. Die Energie lässt nach, und du bist ständig beim Arzt. Ich weiß, dass der Tag kommen wird, wo es nicht mehr geht – und dass ich das hinnehmen muss…. Aber bis es soweit ist, denke ich nicht ans Aufhören.
Gisbert Ludewig: Bis nichts mehr geht
Über die unbändige Lust auf Sandstein und das Glück, auch im hohen Alter noch in der Wand zu hängen. Warum Gisbert Ludewig nicht vom Klettern lassen kann: Portrait eines sächsischen Kletterpioniers in der Printausgabe.
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Schöner Artikel, interessanter Text, hübsches Bild! Von solchen Geschichten, solchen Menschen (Heldengestalt!) lebt unser schönes Gebirge:
Sagt Erhard, der sich rühmt, Gisbert zu kennen