Als Kletterer hat Stefan Glowacz sein Glück Langezeit an der Grenze zum Machbaren gesucht. Heute sind ihm ungewöhnliche Wege und Erfahrungen wichtiger. In Dresden berichtet der Extremsportler im November von seinen Abenteuern zwischen Arktis und Orient. Nachdenkliche Töne sind auch dabei.
Sommer 2018. An der schottischen Atlantikküste setzt eine deutsche Yacht die Segel. Ihr Ziel: Grönland. Mit an Bord: Stefan Glowacz – bekanntermaßen eher auf Felsen als auf Wellenbergen zu Hause. Der Extremkletterer aus Bayern bringt viel Zeit über der Reling zu, der Törn wird für ihn phasenweise zur Tortur. Doch Glowacz beißt die Zähne zusammen, weil er genau solche Erfahrungen sucht: das einsame, ausgesetzte Gefühl auf dem Meer, das Unbekannte. Es erinnert ihn an seine Touren in den Steilwänden der Welt. Später wird er mit Freunden das grönländische Inlandeis überqueren. Zum Klettern kommen sie nicht – die Zeit ist zu knapp, das Wetter zu schlecht. Sie müssen zurück aufs Boot und vor den Herbststürmen nach Hause segeln. Aber Glowacz ist zufrieden: Er hat sein Abenteuer gefunden. Wieder mal. Ein Gespräch über die letzten großen Träume. Über Grenzen und Besessenheit. Das Elbsandsteingebirge. Und eine Suche, die niemals endet.
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(Beitrag gesponsert)
Stefan, du bist gerade von der längsten Expedition deines Lebens heimgekehrt. Für einen Kletterer wie dich war es eine sehr untypische Unternehmung – ein Segeltörn nach Grönland. Wie kam es dazu?
Die Initialzündung war vor drei Jahren auf der Baffin-Island-Expedition mit Robert Jasper und Klaus Fengler. Wir sind nach Ottawa über die Nordatlantikroute geflogen, direkt übers grönländische Inlandeis. Ich hatte einen Fensterplatz und hab so runtergeschaut und mir gedacht: Mensch, das ist eine geile Nummer, da möchtest du auch mal sein! Und dann hat sich das ganze Unternehmen wie ein Puzzlespiel zusammengesetzt. Ich wollte zunächst an der Ostküste eine Erstbegehung machen und dann zur Westküste hinüber, aber autark – übers Inlandeis. Je länger ich darüber nachdachte, umso wichtiger wurde mir der Nachhaltigkeitsgedanke. Schon die Reise nach Grönland sollte umweltschonend sein, mit Elektroautos bis nach Schottland und dann mit dem Segelboot weiter. Mit der Expedition wollte ich ein Zeichen setzen. Weil wir uns als Outdoor-Sportler zwar einbilden, sehr bewusst mit der Natur umzugehen, aber um die halbe Welt fliegen, um irgendwo drei Wochen klettern zu gehen. Ich glaube, dass wir uns viel mehr Gedanken machen müssen, wie wir unsere Leidenschaft naturverträglich leben können.
Als Reinhold Messner alle Achttausender bestiegen hatte, wechselte er das Fach und wanderte quer durch die Antarktis. Wird das jetzt bei dir eine ähnliche Geschichte?
(lacht) Nein, definitiv nicht. Ich bin von Haus aus ein neugieriger Mensch. Ich mag nicht immer wieder das Gleiche machen. Es hat mich auch nie zum Expeditionsbergsteigen getrieben. Mein halbes Leben lang da im Basislager zu sitzen, um dann einen Berg zu besteigen. Ich brauche immer wieder neue Anreize, neue Aspekte, um mich motivieren zu können. So eine Durchquerung hatte ich noch nie gemacht. Aber ich werde jetzt definitiv nach dieser Erfahrung auch kein Durchquerer von irgendwelchen Eiskappen in der Antarktis oder Arktis werden. Es ist unglaublich spannend gewesen, sehr inspirierend. Aber von Haus aus bin ich Kletterer. Ich werde auch in Zukunft das Klettern ins Zentrum stellen.
Es mehren sich die Stimmen, die sagen, dass in den Wänden dieser Welt so langsam die großen Abenteuer zu Ende gehen. Wie siehst du das?
Sagen wir mal so, es ist natürlich schon wahnsinnig viel erschlossen worden. Seitdem ich klettere, sind viele der letzten großen Herausforderungen geknackt worden. Die Wände, die jetzt noch übrig bleiben, sind brutal gefährlich. Und die Protagonisten, die sowas angehen, wissen ganz genau, dass sie dabei ihr Leben aufs Spiel setzen. Es ist schon richtig, wenn man mal das American Alpine Journal durchblättert, ist es wirklich erstaunlich, wie viele Expeditionen jedes Jahr in den entlegensten Winkeln dieser Welt stattfinden. Ich glaube, die großen Abenteuer sind alle schon gemacht worden. In irgendeiner Art und Weise. Unsere Expedition zum Beispiel. Scott, Nansen, Shackleton, die waren so unterwegs wie wir. Aber darum geht es nicht. Es geht nicht darum, etwas zu machen, was noch nie da war. Wichtig ist, was ein Abenteuer für mich persönlich bedeutet – und sich darauf zu konzentrieren.
Dresden klettert – mit Stefan Glowacz!
Der Extremkletterer eröffnet die Hallensaison in Dresden! Am 10. November ist Stefan Glowacz zu Gast beim großen Globetrotter-Testival in der XXL-Kletterhalle auf der Breitscheidstraße 40 und berichtet dort live von seinen Abenteuern zwischen Arktis und Orient.
Einlass zum Vortrag von Stefan Glowacz: 19.30 Uhr, Beginn 20 Uhr. Eintritt zum Normaltarif: 14 EUR. Ermäßigungen >>> siehe hier Die Einnahmen des Vortrags gehen zu 100% an die Nepalhilfe Beilngries.
- Die Veranstaltung >>> bei Facebook
Kletter-Equipment zum Testen – der Tag im XXL
Beim ganztägigen Kletterevent im XXL (Beginn 10 Uhr) gehören Kletterkurse für Erwachsene und Kinder sowie Workshops zu Sicherungsmitteln zum Programm. Außerdem könnt ihr das neueste Equipment (Gurte, Sicherungsmittel, Seile und aktuelle Schuhmodelle) der Allgäuer Bergsport-Firmen Edelrid und Red Chili testen. Im Hallen-Eintrittspreis enthalten ist zudem ein Gutschein im Wert von 15 EUR für Globetrotter.
- Mehr Infos findet ihr auf den Seiten des Veranstalters >>> siehe hier
- Dresden klettert. Die Veranstaltung >>> bei Facebook
Was ist ein Abenteuer?
Etwas, das ich nicht kenne. Klar kannst du dich einlesen, kannst Informationen einholen über das, was du vorhast. Und man kann von Fehlern, die andere vor einem gemacht haben, sehr viel profitieren. Aber trotzdem bleibt es ein Abenteuer für einen selbst. Ich hatte noch nie auf so einer Eiskappe gestanden – und das wollte ich. Darum geht´s, dass man sich bewusst wird, für was man brennt – für was man Leidenschaft und zum Teil auch Besessenheit aufbringen kann.
Der Begriff erfährt alle möglichen Auslegungen. Manchmal scheint er reichlich überstrapaziert. Die jüngste Disziplin ist das sogenannte Mikroabenteuer, ein Wort, das durch den britischen Abenteurer Alastair Humphrey populär wurde – ein Baumhaus bauen, mit dem Bulli ans Nordkap fahren oder mit 60 Jahren nochmal Karate lernen. Das alles gab es auch früher schon, aber der Begriff rückt es in die Nähe von legendären Grenzgängen, wie der Erstürmung des Nordpols oder der Eroberung des Everest. Fühlst du dich da manchmal wie im falschen Film zwischen all diesen neuen Abenteurern?
Du hast Recht, der Begriff ist völlig überstrapaziert. Aber ich denke, dass diese neuen Definitionen nichts anderes ausdrücken als das, was ich gerade geschildert habe. Wenn einer eine Couch-Kartoffel ist und sich irgendwann mal aufrafft und in der Sächsischen Schweiz wandern geht, dann ist das für ihn vielleicht ein riesiges Abenteuer – für dich ist es nur Mittel zum Zweck, weil du jedes Wochenende draußen bist und auf irgendeinen Felsen rennst. Er hingegen macht etwas Unbekanntes. Den Begriff Abenteuer, wie wir ihn kannten, gibt es meiner Ansicht nach heute nicht mehr.
Die Suche nach dem Abenteuer hat dich immer wieder ins Elbsandsteingebirge geführt. Was dachtest du hier zu finden?
Ursprünglichkeit. Tradition. Einmaligkeit. Die Art und Weise, wie in der Sächsischen Schweiz geklettert wird, ist absolut einmalig auf der Welt. Die Konzentration auf das eigene Leistungsvermögen – nicht nur das körperliche, sondern vor allem das mentale – kann man nirgendwo anders so elementar erfahren wie im Elbsandstein. Woanders legst du einfach noch eine Sicherung mehr, im Elbsandstein ist das teilweise nicht möglich. Jede Tour ist ein Abenteuer für sich. Das genieße ich sehr. Ich hoffe, dass ich nach meinem Vortrag bei Globetrotter noch ein, zwei Tage dranhängen kann, und dass das Wetter gut genug ist, um im Elbsandstein klettern gehen zu können.
Du hast die Sächsische Schweiz schon mal als Feuertaufe bezeichnet. Das ist ein ganz schön großes Wort von jemandem, der die Bigwalls auf Baffin Island geklettert ist…
Nein, dazu stehe ich nach wie vor. Weil sich hier selbst die besten Kletterer manchmal in die Hosen scheißen. Es gibt knallharte Touren, die einen echt fordern, und dann noch kombiniert mit diesen weiten Stürzen und schlechten Sicherungen! Also ich finde, das ist eine absolute Feuertaufe. Wenn einer behauptet, er sei am Fels mit allen Wassern gewaschen, war aber noch nie im Elbsandstein, dann ist er es eben nicht.
Einer, der eine sehr persönliche Beziehung zu genau dieser Art Abenteuer hat, ist Bernd Arnold – weil er hier zu Hause ist. Vor drei Jahren seid ihr zusammen die Gans-Südwand geklettert. Wie war das für dich?
Ich kenne den Bernd schon sehr lange. Ich erinnere mich an Bilder, als Wolfgang Güllich und Kurt Albert zum ersten Mal im Elbsandstein kletterten, wie der Großmeister da barfuß in Aktion war und aus der Kletterstellung heraus einen Ring gebohrt hat – nur an Knotenschlingen fixiert. Das hat meine Einstellung zum Klettern maßgeblich geprägt. Die ersten Besuche, noch zur DDR-Zeit, haben mich schwer beeindruckt. Damals war ich ein junger Wilder, da war das genau das Richtige für mich: dieses Ausgesetzte, dieses schlecht Gesicherte, die moralische Challenge… Bernd war immer eines meiner Vorbilder. Auch, als er dann später auf Expedition gegangen ist, Routen wie Royal Flash, oder was sie dann am Trango Tower gemacht haben, das war damals absolut State oft the Art – die Übertragung der Leistung vom kleinen Felsen auf die großen Felsen, die Jungs haben das gelebt. Sie haben vorgemacht, wie es geht.
Wie wichtig sind dir bei deinen Abenteuern die Gefährten, die Seilschaft? Bernd Arnold waren sie immer sehr wichtig.
Ich bin kein Einzelgänger. Ich erlebe gerne was mit guten Freunden und möchte es gerne teilen. Jetzt bei dieser Expedition begleitete mich Thomas Ulrich aus der Schweiz, mit dem ich vor 20 Jahren das erste Mal in Grönland war. Und Philipp Hans, ein junger Kletterer aus Stuttgart, den ich aber auch schon sehr lange kenne. Das ist extrem wichtig. So eine Expedition, wie die Überquerung des Inlandeises, ist ja kein Honigschlecken. Du quälst dich viele Tage lang – und darauf musst du dich einlassen und Lust haben. Du kannst dort nicht die ganze Zeit die Flügel hängenlassen, weil es dir nicht gut geht. Sowas geht nur mit Leuten, die meine Geisteshaltung teilen. Aber wenn wir dann unterwegs sind, dann genieße ich das in vollen Zügen und jede Minute. Das ist eine extrem wertvolle Zeit, mehr oder weniger der wahre Reichtum des Lebens! Und das teilen zu können mit guten Freunden ist für mich elementar bei so einer Unternehmung, sonst würde ich gar nicht erst aufbrechen.
Aber eine Portion Egoismus gehört auch dazu, wenn man schaffen will, was noch keiner zuvor geschafft hat.
Das wird auch wieder ein bisschen überstrapaziert… Und mich interessiert das seit längerer Zeit überhaupt nicht mehr, ob andere etwas schon vor mir geschafft haben. Denn ich möchte es ja für MICH schaffen! Nicht für irgendein Publikum. Das ist sicher auch eine Form von Egoismus. Ich setze meine Visionen und Träume um. Und entscheide, wer mitkommt.
Mit über 50, siehst du da für deine Aufbrüche eine natürliche Grenze kommen?
(lacht) Nee! In mancher Hinsicht werden mir natürlich schon klare Grenzen aufgezeigt. Wenn du mit einem 25-Jährigen unterwegs bist, wie mit dem Philipp, ich meine, der ist halb so alt wie ich! Das ist eine tolle Herausforderung und eine tolle Motivation. Aber gottseidank bin ich nicht so vom Ehrgeiz zerfressen, dass ich genauso schnell den Berg hochrennen muss mit einem 40-Kilo-Rucksack wie er. Da muss man sich sagen: Mensch, das habe ich mein Leben lang gehabt, jetzt muss ich eben andere Prioritäten setzen. Das heißt, dass man mehr auf seinen Körper achtet, dass man auch mehr Regenerationszeiten einplant. Dass man vielleicht nicht so extrem schwere Rucksäcke trägt, sondern dafür lieber einmal mehr läuft. Das sind schon Grenzen. Altersmäßig ist es so, dass das Material die Grätsche macht und man beim Klettern keine extremen Ausschläge mehr nach oben hat – das ist ein Prozess, damit muss man umgehen lernen. Sonst zerbrichst du daran, wie viele andere Sportler in anderen Disziplinen. Die haben gesehen – oh, jetzt kommen die jungen Wilden, die überholen mich rechts und links – und haben auf einmal keinen Spaß mehr dran gehabt. Oder du schließt deinen Frieden damit und akzeptierst es einfach. Und ich muss sagen, ich hab beim Klettern mittlerweile so viel Spaß, auch beim reinen Sportklettern, unabhängig vom Schwierigkeitsgrad, dass ich diese Transformation anscheinend ganz gut geschafft habe.
Welche Träume sind noch offen, was kommt als Nächstes?
Ehrlich gesagt, das weiß ich noch nicht. Nach jeder Expedition braucht es eine gewisse Zeit der Erholung. Um überhaupt wieder Lust zu bekommen, sich darüber Gedanken zu machen. Momentan bin ich ganz glücklich wieder zu Hause zu sein, meine Familie zu genießen, jetzt ein paar Vorträge zu halten, nach Dresden zu kommen, wieder mal Sachsen zu besuchen. Und wie gesagt hoffe ich, dass ich dann im Elbsandstein ein paar Meter klettern kann.
Gespräch: Hartmut Landgraf
Stefan Glowacz, 53, ist Profi-Bergsteiger und Extremkletterer aus Bayern. 1993 war er Vizeweltmeister im Sportklettern, danach hing er seine Wettkampfkarriere an den Nagel und begann mit Expeditionen zu Felsen weltweit. Im Sommer 2018 ist er nach und in Grönland unterwegs. Sein Expeditions-Blog auf >>> SPIEGEL-Online
Stefans Webseite: www.glowacz.de
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