Doug Smith: „Vor den Wölfen müsst Ihr keine Angst haben“

Wildbiologe Douglas Smith mit einem Wolf im Yellowstone National Park
Douglas Smith weiß mehr über Wölfe als manch anderer. Doch selbst er kommt ihnen nur selten so nahe. Vom Helicopter aus traf er den Wolf mit einem Betäubungspfeil. Nicht fürs Foto natürlich, sondern um ihm ein Senderhalsband anzulegen. (Foto: US National Park Service)

Der Wildbiologe beobachtet seit vielen Jahren die Rückkehr der Wölfe im amerikanischen Yellowstone-Nationalpark. Diskussionen wie in Sachsen kennt er zur Genüge.

Durch das rätselhafte Verschwinden zweier Wolfsrudel in Sachsen (siehe Sandsteinblogger vom 5. Februar) stellt sich die Frage nach unserem Verhältnis zu den wilden Graupelzen mit neuem Nachdruck. Naturschützer befürchten, dass die Tiere illegal abgeschossen wurden. Schaffen wir es nicht, Wölfe in unserer Nähe zu dulden – und unseren Lebensraum mit ihnen zu teilen? Nicht nur wir in Sachsen sind mit solchen Fragen konfrontiert. Wie erleben andere Länder die Rückkehr der Wölfe? Und wie gehen sie mit ihnen um? Darüber sprach ich vor zwei Jahren mit dem bekannten amerikanischen Wolfsexperten Douglas Smith, der diesen Prozess am Yellowstone-River miterlebt, einem riesigen Wildnisgebiet im US-Bundesstaat Wyoming. Das Interview erschien zuerst in der Sächsischen Zeitung – aus aktuellem Anlass veröffentliche ich es nun mit freundlicher Genehmigung der SZ an dieser Stelle. Alle Aussagen haben noch immer Bestand. Die Angaben zur Wolfspopulation basieren zwar auf einer Studie aus dem Jahr 2012. Wie die Verwaltung des Yellowstone-Nationalparks dem Sandsteinblogger mitteilt, hat es seitdem aber keine neue Erhebung mehr gegeben.

Das Interview:

Mr. Smith, bei uns in Sachsen haben viele Leute mit der Rückkehr von Wölfen ein Problem. Wie war das bei Ihnen?

Genauso. Im Yellowstone-Nationalpark ist der Wolf seit 1995 wieder zu Hause. Seine Ansiedlung war von Anfang an in der Öffentlichkeit heftig umstritten. Es gab Anfeindungen und vereinzelt sogar Morddrohungen gegen Mitarbeiter des Parkmanagements. Daran hat sich auch nichts geändert. Die meisten unserer Besucher lieben Wölfe zwar. Aber in der einheimischen Bevölkerung hier gibt es bis heute viele Kritiker und Wolfsgegner.

Warum?

Wölfe polarisieren sehr stark. Was wir von ihnen halten, hängt von Werten ab – von unseren Werten. Wenn du die Welt als einen Ort ansiehst, der nicht nur für dich bestimmt ist, sondern der allen Lebewesen gleichermaßen gehört, dann kannst du auch Wölfe besser akzeptieren.

Wolfsfamilie in Kanada
Wölfe sind sehr familienorientiert. Hier ein kleines Rudel in Kanada. (Foto: Derek R. Audette/fotolia.com)

Wie viele Wölfe gibt es im Yellowstone-Nationalpark?

Im Park selbst leben zurzeit 83 Wölfe auf einer Fläche von etwa 9 000 Quadratkilometern. Wenn man das Umfeld des Nationalparks in den drei angrenzenden Bundesstaaten Wyoming, Montana und Idaho hinzunimmt, sind es in der Region etwa 1700 Tiere. Das heißt, der Wolf wird hier nicht mehr nach dem Artenschutzgesetz als bedroht eingestuft. Diesen Status würde er erst dann wieder erlangen, wenn die Population in der Region unter die Zahl von 300 Tieren zurückfällt. Außerhalb des Parks wird er inzwischen wieder bejagt. Mitunter müssen auch wir Wölfe erschießen, wenn ein Tier verhaltensauffällig und gegenüber Menschen ungewöhnlich zutraulich wird.

Wann wird der Wolf zu einem Problem?

Ich habe keine Vorstellung, wie groß Sachsen ist, Fakt ist aber, dass Wölfe viel Platz benötigen. In dicht besiedelten Gebieten machen sie uns manchmal das Leben schwer. Nicht, weil sie uns gefährlich werden. Man muss vor Wölfen keine Angst haben. Aber es kommt vor, dass sie neben ihrer normalen Beute Haustiere reißen, dass sie Schafe, Kälber oder Hunde töten. Die wenigsten Konflikte gibt es daher in dünn besiedelten Gebieten. In dieser Hinsicht glaube ich, dass ein großer Teil Europas nicht besonders gut geeignet für Wölfe ist.

Der Nationalpark Sächsische Schweiz ist rund 90 Quadratkilometer groß und liegt in einer dicht besiedelten, touristisch stark frequentierten Gegend. Wäre das nach amerikanischen Maßstäben ein geeignetes Wolfsterritorium?

Nein, das klingt nicht gut.

Gab es im Yellowstone jemals unerfreuliche oder gefährliche Begegnungen zwischen Wanderern und Wölfen?

Das ist noch nie passiert. In aller Regel greifen Wölfe keine Menschen an. Es ist mal vorgekommen, dass ein einzelner Wolf zu großes Interesse an menschlichen Nahrungsmitteln gezeigt hat. Aber wir haben hier ja nicht nur Wölfe, sondern Schwarzbären, Grizzlys, Kojoten – und von allen Raubtieren, die es in der Gegend gibt, ist der Wolf das am wenigsten gefährliche. All unsere Managementpläne sind darauf ausgerichtet, Wölfe vor dem Menschen zu beschützen, nicht umgekehrt. Zum Beispiel ist das Gebiet rings um einen Wolfsbau in einem Radius von etwa einem Kilometer für Besucher geschlossen, weil wir vermeiden wollen, dass Touristen dort hingehen, Fotos machen und die Wölfe stören.

Wolfsrudel
Der Wolf ist ein kräftiges Raubtier – doch dem Menschen begegnet er zumeist mit Scheu. (Foto: jamcgraw13/fotolia.com)

Gab es gefährliche Zwischenfälle mit anderen Raubtieren?

Ja, mit Bären. Es kann sein, dass sie Menschen angreifen, um ihre Jungen zu verteidigen. Tragische Unfälle sind selten, aber Verletzte gibt es jedes Jahr. Erst kürzlich wurden hier zwei Leute von einem Bären getötet. Es kommt vor, dass wir größere Gebiete zeitweise für Besucher sperren müssen, weil sie für Bären als Lebensraum besonders wichtig sind. Solche Vorsichtsmaßnahmen brauchen wir für Wölfe nicht.

Experten betonen immer wieder, Wölfe würden Menschen nicht als Beute ansehen. Nur, warum eigentlich nicht?

Wölfe haben eine natürliche Scheu vor dem Menschen entwickelt. Sie haben gelernt, dass wir sie töten können.

Dennoch sind Wissenschaftler des Norwegischen Naturforschungsinstituts Trondheim bei einer weltweiten Quellensammlung auf einige, wenn auch sehr wenige, Belege für Beuteattacken auf Menschen gestoßen.

Der einzige derartige Fall, von dem ich gehört habe, soll in Indien passiert sein. Wie es heißt, gab es dort in einer Gegend solche Vorkommnisse. Aber die Umstände waren offenbar extrem ungewöhnlich. Es gab in dem Gebiet keinerlei natürliche Nahrungsgrundlage mehr für den Wolf, es gab buchstäblich nichts anderes mehr zu fressen.

Wie sollen sich Wanderer im Yellowstone verhalten, um Konflikte mit Raubtieren zu vermeiden?

Respektvoll Abstand wahren. Wo Bären sind, sollte man Pfefferspray einstecken haben und niemals da kochen und essen, wo man kampiert. Nahrungsmittel bewahrt man besser außer Reichweite auf, zum Beispiel hoch oben in einen Baum. Dass es grundsätzlich falsch ist, vor Raubtieren wegzurennen, weil das ihren Beutereflex anstachelt, gilt natürlich auch für Wölfe.

Hier bei uns gehört es zur Tradition, im Schlafsack unter Felsen zu übernachten – zu boofen, wie wir sagen. Finden Sie das in einer Wolfsgegend gefährlich?

Da hätte ich keine Bedenken. Es ist zwar nicht ausgeschlossen, dass sich mal ein Wolf aus Neugier einem Schlafsack nähert. Vielleicht interessiert ihn nur, was das für ein Ding ist. In so einem Fall würde ich nicht liegenbleiben, sondern aufstehen. Dann zieht er sich wahrscheinlich zurück.

Schlafender Wolfswelpe
Wölfe bringen in der Regel in einem Wurf vier bis sechs Junge zur Welt. In Mitteleuropa fällt die Paarungszeit in den Zeitraum zwischen Januar und März. (Foto: composio/fotolia.com)

Haben die Wölfe bei Ihnen irgend einen messbaren Effekt für den Tourismus?

Einen großen sogar, die meisten unserer Besucher kommen extra wegen ihnen hier her. Der Yellowstone-Nationalpark ist der beste Platz auf Erden, um frei lebende Wölfe zu beobachten. Eine unserer Straßen durchschneidet ihr Territorium, dort hat man frühmorgens oder spätabends gute Chancen. Über den touristischen Effekt gab es hier eine Studie. Die beziffert den Umsatz, den wir den Wölfen verdanken, mit 35 Millionen Dollar pro Jahr.

Und was bedeutet ihre Rückkehr für die Wildbestände im Nationalpark?

Das ist schwer zu sagen. Die Zahl der Wapiti-Hirsche ist zurückgegangen. Dafür kann es viele Gründe geben. Zum Beispiel hat die Zahl der Grizzlys zugenommen. Außerhalb des Parks werden Wapitis gejagt. Es kommt vor, dass Leute Wölfe töten, damit sie selbst mehr Hirsche zum Jagen haben.

 

YellowstoneDer Nationalpark in Zahlen:

  • Gegründet am 1. März 1872 unter Präsident Ulysses S. Grant, ist der Yellowstone-Nationalpark der älteste Nationalpark weltweit.
  • Sein Territorium erstreckt sich über 8 987 Quadratkilometer in den US-Bundesstaaten Wyoming, Montana und Idaho. Zum Vergleich: Der Nationalpark Sächsische Schweiz ist hundertmal kleiner: 93 Quadratkilometer.
  • Jedes Jahr kommen 3,5 Millionen Besucher in den Yellowstone-Park. In dieser Hinsicht ist ihm der Nationalpark Sächsische Schweiz fast ebenbürtig: Hier sind es rund 2,7 Millionen.
  • Webseite: www.nps.gov/yell/

3 Kommentare zu Doug Smith: „Vor den Wölfen müsst Ihr keine Angst haben“

    • Die Wölfe meinen schon…. immerhin sind sie schon 16 Jahre wieder bei uns… sie sind eben Anpassungsfähig. Wir dagegen nicht, darum haben wir ja immer alles ausgerottet.

  1. Die Natur lässt sich nicht beeinflussen.Wir als Mensch tragen aktiv dazu bei sie nicht zu verändern.

    Ich gebe mal folgendes Beispiel:

    Zu Pfingsten war ich mal wieder im Sächsichen unterwegs.Es ist ein Wahnsinn was alles auf 4 Rädern unterwegs ist.Stellen sich die Menschen nicht selber mal vor wie das die Natur beeinflusst?Ein rumgegeschreie,man stelle mal vor 100 Menschen würden in ihrem Wohnzimmer so rum schreien..So was geht überhaupt nicht.

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