Die Kirnitzsch gehört zu den wertvollsten Fließgewässern in Sachsen. Vor allem durch eine neue Kläranlage auf tschechischer Seite ist sie in den letzten Jahren nachweislich sauberer geworden. Noch ist aber nicht alles gut.
Die Sonne macht der Kirnitzsch schöne Augen. Ihre Strahlen spiegeln sich auf tausend kleinen Wellen und lassen den Bach funkeln und blitzen wie einen Diamanten. In gemächlichem Tempo windet er sich in vielen Mäandern durchs Tal. Stellenweise ist sein Wasser so klar, dass man die Kiesel auf dem Grund zählen kann. Dann wieder schimmert sein Bett im satten Grün des Flutenden Hahnenfußes. So sieht er aus – einer der saubersten Bäche Sachsens. Zumindest bei den Rabensteinen.
Laut Kerstin Jenemann vom Landesamt für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie (LfULG) sind nur drei Prozent aller Fließgewässer im Freistaat in so gutem Zustand wie der Oberlauf der Kirnitzsch. Auf deutscher Seite kann sie abgesehen von der Oberen und Niederen Schleuse bis zur Einmündung des Saupsdorfer Bachs ziemlich ungehindert durchs Elbsandsteingebirge fließen und bietet Fischen, Wasserinsekten und anderen Bewohnern somit natürliche und gute Lebensräume. In diesem Abschnitt ist sie auch weitgehend frei von Verunreinigungen. In mancherlei Hinsicht hat die Kirnitzsch sogar Trinkwasserqualität. In jedem Fall ist sie ein ökologisch wertvolles Gewässer.
In dieser Einschätzung sind sich Wissenschaftler, die den Bach in den vergangenen Jahren im Auftrag verschiedener sächsischer Naturschutzbehörden untersucht haben, einig. Die Ergebnisse ihrer Studien wurden jetzt anlässlich des 25-jährigen Gründungsjubiläums des Nationalparks Sächsische Schweiz in Bad Schandau vorgestellt. Und sie zeigen: Die Kirnitzsch ist nicht nur sauber und ein Zuhause seltener Tier- und Pflanzenarten, sondern sie entwickelt sich sogar noch zum Besseren.
Für die Fische sind die Wehre in der Kirnitzsch ein großes Problem
Ist aus ökologischer Sicht also alles gut an der Kirnitzsch? Nicht ganz. Denn in der Qualitätsbewertung schneidet der obere Teil – das heißt dort, wo keine Straßen und Häuser sind – besser ab als der Unterlauf. Da erhält sie nach strengen europäischen Umweltnormen nämlich nur die Note „mäßig“. Was zunächst mal wenig verwunderlich ist, denn da, wo sie auf die Straße trifft, folgt die Kirnitzsch schon lange nicht mehr ihrem natürlichen Lauf, sondern wurde durch Wehre, Uferbefestigungen und Siedlungen dauerhaft verändert. Und das hat Folgen für eine ganze Reihe von Bachbewohnern. Wehre können beispielsweise für Krebse, manche Insekten oder Fische, die zum Laichen in den Oberlauf der Flüsse ziehen müssen, ein schier unüberwindliches Hindernis darstellen. In dieser Hinsicht sind das Wehr an der Ostrauer Mühle sowie die Niedere und Obere Schleuse noch immer die größten Hürden. Auch andere Bauwerke stören den natürlichen Lauf der Dinge: Im Unterlauf erhöhen künstliche Begradigungen und Uferbefestigungen stellenweise die Strömungsgeschwindigkeit des Wassers – der Bach bietet seinen Bewohnern damit weniger Ausruhmöglichkeiten und Verstecke. Hier Abhilfe zu schaffen, ist in einem gewachsenen Siedlungsgebiet schwierig. Zudem haben Befestigungen und andere Gewässerunterhaltungsmaßnahmen durchaus auch ihren Sinn, wie das Kirnitzschhochwasser 2010 eindrucksvoll vorgeführt hat. An einigen Stellen – etwa an der Lichtenhainer Mühle oder der Neumannmühle – wurde in den letzten Jahren trotzdem versucht, die Bedingungen für die Bachlebewesen durch Rück- und Umbaumaßnahmen zu verbessern.
Auch in punkto Sauberkeit ist im Unterlauf nicht alles so gut wie an den Rabensteinen. Laut LfULG kommt es dort stellenweise zu Verschlammungen am Bachgrund, in größeren Abständen werden auch immer wieder bestimmte Nährstoffe wie Phosphor in erhöhter Konzentration nachgewiesen – die genauen Ursachen sind nicht bekannt. Verunreinigungen dieser Art können aber zum Beispiel aus der Landwirtschaft in die Bäche gelangen. Auch die Forstwirtschaft kommt als möglicher Verursacher in Betracht. Bei großräumigen Durchforstungen mit schweren Maschinen gelangt ebenfalls vermehrt Schlamm in die Bäche. Die Folge: Mancherorts entstehen so z.B. Voraussetzungen für ein unnatürlich kräftiges Algenwachstum.
„Plötzlich sind andere Arten da“
Doch im Großen und Ganzen haben die Fachleute an der Kirnitzsch wenig zu bemängeln. Ihr Zustand habe sich auch dank Investitionen in die Abwasserentsorgung nachweislich verbessert, sagt der Biologe Dr. Hanno Voigt, der sowohl den Oberlauf als auch den Unterlauf des Bachs im Auftrag der Nationalparkverwaltung an 13 verschiedenen Stellen untersucht hat – seinen pH-Wert, seine elektrische Leitfähigkeit und sein Artenspektrum. Am Oberlauf habe vor allem der Bau einer Kläranlage auf tschechischer Seite zu Verbesserungen geführt. In der Kommune Krasna Lipa müssen sich seit dem Jahr 2004 Privathaushalte zwingend in mehreren Ausbaustufen an die öffentliche Abwasserentsorgung anschließen. Ähnliche Entwicklungen gibt es auch auf deutscher Seite. Im Raum Lichtenhain seien in den letzten Jahren ebenfalls viele Haushalte an die Kanalisation angebunden worden, sagt Voigt. Der Lichtenhainer Bach ist einer der Zuflüsse der Kirnitzsch. Für das Tier- und Pflanzenreich sind die Auswirkungen positiv. So konnte Voigt am Lichtenhainer Bach neuerdings eine äußerst seltene Köcherfliegenart (Rhyacophila Polonica) nachweisen. „Plötzlich sind Arten da, die vorher nur in benachbarten Seitengewässern vorkamen“, sagt der Biologe.
Die Kirnitzsch und ihre Zuflüsse sind aber nicht nur wegen solcher Seltenheiten bemerkenswert, in ihrem Umfeld sind eine ganze Reihe von Insekten zu Hause, die sich vor allem in und an natürlichen und sauberen Gebirgsbächen wohl fühlen – verschiedene Wasserkäfer-, Eintags-, Köcher- und Steinfliegenarten zum Beispiel. Ein klares Indiz für einen Bach erster Güte. Das wiederum freut die Fische: Insgesamt 14 Arten von der Plötze bis zum Atlantischen Lachs kommen in der Kirnitzsch vor. Laut Umweltamt haben sich in den letzten Jahren vor allem die Bestände von Bachforelle, Groppe und Bachneunauge erfreulich vermehrt. Doch auch das Gegenteil kann ein Zeichen für die ökologisch gesunde Entwicklung eines Gewässers sein, sagt Jürgen Phoenix von der Nationalparkverwaltung. Ein glasklarer Bach setzt dem Artenreichtum natürliche Grenzen – weil er für manche Lebewesen einfach nicht genügend Nährstoffe hat. Die Wasserassel zum Beispiel sucht sich lieber etwas trübere und pflanzenreiche Gewässer als Bleibe aus. In der Kirnitzsch konnte sie laut Phoenix in diesem Jahr noch nicht nachgewiesen werden. Vielleicht ist es der Assel in der Kirnitzsch einfach ein bisschen zu sauber geworden.
Veranstaltungstipp:
Um den Zustand der sächsischen Flüsse und Bäche geht es auch am 23. April im Nationalparkzentrum Bad Schandau: Beim 11. Gewässerforum Elbestrom stellen Vertreter verschiedener Institutionen ihre Strategien und Bewirtschaftungspläne für die sächsischen Gewässer für die nächsten sechs Jahre zur Diskussion. Organisiert wird das Forum vom Landesamt für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie. Die Veranstaltung ist öffentlich und kostenlos. Beginn der Vorträge: 12.30 Uhr, Diskussion: 16.45 Uhr.
Mehr Infos: http://www.smul.sachsen.de/lfulg/download/2015_04_23_GF_Elbe.pdf
„Verunreinigungen dieser Art können aber zum Beispiel aus der Landwirtschaft in die Bäche gelangen. Auch die Forstwirtschaft kommt als möglicher Verursacher in Betracht. Bei großräumigen Durchforstungen mit schweren Maschinen gelangt ebenfalls vermehrt Schlamm in die Bäche. Die Folge: Mancherorts entstehen so z.B. Voraussetzungen für ein unnatürlich kräftiges Algenwachstum.“ Aha. Da schlägt die Politik der Nationalparkverwaltung, eben mit jenen schweren Forstmaschinen den Wald großräumig zu durchforsten, wohl auf deren eigenes formuliertes Ziel zurück: Natur Natur sein zu lassen. Schade drum. Aber solange die finanziellen Ziele eines Staatsbetriebes „Sachsenforst“ lauten, soviel gut verkäufliches Holz wie möglich aus dem Wald zu holen, wird sich daran wohl nichts ändern.